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Sanctus

Sanctus

Titel: Sanctus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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hinwollte. Auch ein kleiner Laptop war darin, eine Börse, Kreditkarten, ein Presseausweis und ein fast volles Starbucks-Bonusheft. In einer Seitentasche steckten ein Reisepass, ein Schlüsselbund und eine Mappe mit ausgedruckten Fotos. Gabriel schaute sich die Bilder an. Sie zeigten Liv und einen jungen Mann auf einem Ausflug nach New York. Auf den Bildern war sie ein paar Jahre jünger als die Frau, die Gabriel am Flughafen getroffen hatte – Anfang zwanzig vielleicht. Bei dem jungen Mann handelte es sich ganz eindeutig um ihren Bruder. Er hatte das gleiche dunkelblonde Haar, das gleiche runde, attraktive Gesicht und die gleichen grünen Augen, die vor Lachen strahlten.
    Das letzte Foto verriet, dass der Ausflug irgendwann vor 2001 stattgefunden haben musste. Der junge Mann stand allein zwischen den beiden Türmen des World Trade Centers, die Arme ausgestreckt und das Gesicht in gespielter Anstrengung verzogen. Mit seinem langen Haar und den Bartstoppeln sah er aus wie Samson im Tempel der Philister. Es war ein ominöses Bild, voller Tragik, und das nicht nur wegen der beiden Türme, sondern weil dieses Bild einen glücklichen jungen Mann in einer Pose zeigte, die er Jahre später auch kurz vor seinem Tod annehmen sollte.
    Gabriel steckte die Fotos wieder zurück. Sein Instinkt sagte ihm, er solle die Tasche besser im Schließfach lassen, doch er warf sie sich über die Schulter, schloss das Fach wieder ab und ging zum Ausgang. Er betrachtete die Tasche als eine Art Talisman, als einen Glücksbringer, eine Linse, durch die er sein Ziel fokussieren konnte, und wenn er die junge Frau gefunden und sie in Sicherheit gebracht hatte, würde er ihr die Tasche wieder zurückgeben.
    Ihre Sicherheit war nun seine ganz persönliche Mission. Er wusste nicht, seit wann oder warum das so war. Vielleicht seit er sie über den vom Regen glatten Parkplatz hatte rutschen sehen, angetrieben von einer Angst, an der auch er nicht unschuldig gewesen war. Aber vielleicht war das auch schon passiert, als sie mit ihren ungewöhnlich grünen Augen die Wahrheit in den seinen gesucht hatte. Die Furcht konnte er ihr wenigstens nehmen, wenn er die Gelegenheit dazu bekam.
    Gabriel trat aus dem Zwielicht der Gepäckaufbewahrung in den hellen Schein und den Lärm der Haupthalle hinaus. Die Glasdecke, an ihrem höchsten Punkt mehr als dreißig Meter hoch, schien jedes noch so kleine Geräusch aufzufangen und wieder zurückzuwerfen. Es war so laut, dass Gabriel das Telefon in seiner Tasche eher klingeln fühlte als hörte.
    »Die Frau ist ins Polizeihauptquartier gebracht worden«, sagte Kathryn. »Sie befindet sich in einem Verhörzimmer im vierten Stock und sagt gerade aus, was vergangene Nacht passiert ist.«
    »Wie alt ist diese Information?«
    »Ich habe sie gerade erst bekommen. Aber wir glauben, dass die Person, die sie uns gegeben hat, auch die Sancti versorgt.«
    Das ergab Sinn. Und das bedeutete, dass die Leute, die Liv vergangene Nacht zu entführen versucht hatten, nicht weit weg sein konnten. Wahrscheinlich lauerten sie irgendwo und warteten auf eine neue Gelegenheit.
    »Ich rufe dich wieder an«, sagte Gabriel und legte auf.
    Er zog den Helm an, als er zu seinem Motorrad kam, und überlegte, was er als Nächstes tun sollte. Er nahm an, dass die Frau sich in Sicherheit befand, solange sie in dem Verhörzimmer war; doch da würde sie nicht ewig bleiben, und das Polizeihauptquartier war riesig. Sie dort zu finden, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, war nahezu unmöglich. Gabriel warf den Motor an und schaute zu einem Kiosk, wo die Morgenausgabe der Lokalzeitung verkauft wurde. Auf der ersten Seite war ein neues Foto des toten Mönchs zu sehen, eine Nahaufnahme diesmal, vermutlich mit einem Teleobjektiv aufgenommen. Die Schlagzeile lautete: DER TIEFE FALL EINES MANNES.
    Gabriel lenkte sein Motorrad in den langsam dahinfließenden Morgenverkehr.
    Jetzt wusste er ganz genau, was er als Nächstes tun musste.

K APITEL 62
    Arkadian öffnete die große Glastür und hielt sie auf. Liv kam heraus und blinzelte im hellen Licht der Morgensonne. Eine kleine Gruppe uniformierter Polizisten und Verwaltungsangestellte im weißen Kragen drängten sich um einen Aschenbecher auf dem Bürgersteig, dem Schrein ihrer gemeinsamen Sucht. Liv ging zu ihnen, um ebenfalls ein Rauchopfer darzubringen.
    »Könnte ich wohl eine von Ihnen schnorren?«, fragte Liv eines der Weißhemden. Zivilbeamte waren für gewöhnlich freundlicher als Uniformierte. Der Mann hob den

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