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Sandkönige - Geschichten

Sandkönige - Geschichten

Titel: Sandkönige - Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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versperrte die Sicht. Holt riß ihn zur Seite und blickte in eine niedrige Kammer, von der mehrere Tunnel in verschiedene Richtungen abzweigten. Keine Dan'lai, kein Cedraner. Holt war tief unter der Stadt. Das einzige Licht stammte  von seinem Helm.
    Langsam und leise trat Holt in die Kammermitte. Er sah, daß die Hälfte der Tunnelmündungen zugemauert war. Aus einem der offenen Schächte wehte ihm kalter Wind entgegen. Er folgte diesem Schacht über eine lange Strecke und stieß schließlich auf einen riesigen Stollen, in dem rotglühender Nebel hing, einem Meer aus Feuertröpfchen gleich. Der Stollen setzte sich nach beiden Seiten scheinbar endlos fort. Zahllose Tunnelöffnungen, schwarz wie der Tod, klafften in den Wänden.
    Holt ging einen Schritt hinaus in den roten Nebel, drehte sich aber dann wieder um und brannte eine Markierung in den Steinboden des Schachts, aus dem er gekommen war. Jetzt erst machte er sich auf den Weg durch den Stollen, vorbei an der langen Reihe von einmündenden Tunnels. Trotz des dichten Nebels war die Sicht frei, und Holt sah, daß der riesige Stollen leer war — zumindest der Teil, den er überblicken konnte.
    Lautlos ging er weiter, fast wie in Trance. Die Angst schien verflogen zu sein. Plötzlich zuckte aus einer Tunnelöffnung weit vor ihm weißes Licht auf. Holt rannte los, doch bevor er den halben Weg zurückgelegt hatte, war nichts mehr zu sehen. Trotzdem, Holt wollte der Sache auf den Grund gehen.
    Er bog in die schwarze Höhle ein und gelangte nach wenigen Metern an einen Torbogen. Er blieb stehen.
    Vor dem Tor lag eine hohe Schneewächte und dahinter ein Wald, dessen graue Bäume durch ein zartes Eisgeflecht miteinander verbunden waren. Schon der leiseste Hauch schien dieses Kunstwerk zerstören zu können. Im Windschatten der Äste blühten blaue Eisblumen. Sterne funkelten vom klaren Himmel, und auf einer Anhöhe, weit hinten am Horizont, entdeckte Holt die Holzpalisaden und verwinkelten Mauern seines Heimathauses.
    Lange blieb er unter dem Torbogen stehen und blickte, in Erinnerungen schwelgend, nach draußen. Eine eisige Böe wehte ein paar Schneeflocken in den Schacht und ließ Holt vor Kälte zittern. Dann drehte er sich um und ging zurück in den roten Nebel des Stollens.
    Sunderland wartete vor dem Schachteingang, eingehüllt vom schallschluckenden Nebel. »Michael!« sagte er mit normal lauter Stimme, aber Holt hörte bloß ein Flüstern. »Du mußt unbedingt zurückkommen. Wir brauchen dich, Michael. Ich kann nicht an meinen Karten weiterarbeiten, wenn du nichts zu essen besorgst. Und Alaina und Takker ... Du mußt zurückkommen!«
    Holt schüttelte den Kopf. Der Nebel braute sich plötzlich zusammen, wurde immer dichter, und bald war Sunderlands stämmige Gestalt nur noch schemenhaft zu erkennen. Als wenige Augenblicke später die Luft wieder aufklarte, sah sich Holt nicht mehr Sunderland, sondern dem Schuppenaufseher gegenüber. Das Ungeheuer stand schweigend da, die weißen Tentakel vibrierten auf seiner Kopfblase. Es wartete. Holt wartete.
    Auf der anderen Seite des Stollens tauchte plötzlich aus einem der Tunnels schwaches Licht auf, das sich zu beiden Seiten hin auffächerte, wellengleich durch den Nebel der langen Halle strömte und eine Höhlenöffnung nach der anderen aufleuchten ließ — hier in dunklem Rot, da in strahlendem, bläulichem Weiß und dort in einem Gelb, so warm wie das Licht der Heimatsonne.
    Der Schuppenaufseher drehte sich schwerfällig um und ging den Stollen hinunter. Die blauschwarzen Fettrollen schwappten mit jedem Schritt auf und ab. Zum Glück schluckte der Nebel seinen beißenden Körpergeruch. Holt folgte. Mit dem Laser im Anschlag.
    Je tiefer sie in den Stollen vordrangen, desto höher hob sich das Deckengewölbe, und Holt stellte fest, daß die Öffnungen der Seitenhöhlen von Mal zu Mal größer wurden. Plötzlich trat ein fleckiges Wesen, so plump wie der Schuppenaufseher, aus einem der Tunnels, durchquerte den Stollen und verschwand in einer anderen Höhle.
    Die beiden blieben vor einer schwarzen Tunnelöffnung stehen, die doppelt so hoch wie Holt war. Der Schuppenaufseher wartete. Holt hob den Laser, ging hinein und gelangte wieder an ein Fenster — oder vielleicht war es auch ein Bildschirm. Holt starrte hinaus auf ein tosendes Chaos aus Farben und Geräuschen. Sein Kopf dröhnte und fing an zu schmerzen, als sich das Bild mit einem Male stabilisierte. Vier Dan'lai saßen mit übergestülpten Glaskronen um einen

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