Sandor Marai
nimmt wie eine Erbschaft und dann nur noch pflegen
und behüten muß, damit es nicht gestohlen wird und nichts von seinem Wert
verliert. Das Glück mußte eigentlich in jeder halben Stunde, in jeder Minute
immer wieder neu entdeckt werden, sein Erscheinen war völlig unvorhersehbar
und im allgemeinen eher ermüdend und nervenaufreibend als beruhigend und
wohltuend. Die Monate, die er in Gesellschaft der Fremden verbrachte (für ihn
blieb Anna die Wohlbekannte und Eliz die Fremde, wie weit er sich auch mit der
Zeit von der einen entfernte und der anderen näherkam), erinnerten ihn manchmal
an seine »Dienstzeit«, an das
Freiwilligenjahr, das man möglichst gutgelaunt hinter sich bringen mußte, weil
es, wiewohl unangenehm und anstrengend, zum Leben dazugehörte. Das war also
das »herrliche Soldatenleben«. Jedenfalls war es ein Ausnahmezustand – er wurde
eingekleidet wie bei der Armee. (Eliz legte großen Wert darauf, Askenasi, der
bis dahin seiner Kleidung keinerlei Beachtung geschenkt hatte, sorgfältig zu
kleiden; sie ließ Anzüge, Wäsche und Krawatten für ihn anfertigen, die zwar an
die Kleidung erinnerten, die er bisher getragen hatte, trotzdem als
Kostümierung, quasi als Verkleidung wirkten.) Die Zeiten des Aufstehens und
Schlafengehens änderten sich, die Mahlzeiten hatten eine andere Qualität, und
den Rest des Tages verbrachte er mit seltsamen Diensten, deren Sinn Askenasi
niemals zu erfassen vermochte, und er hielt es, wie beim Kommiß, auch nicht der
Mühe wert, über den Sinn nachzudenken.
Zum
Beispiel mußte er zu einer bestimmten Stunde des Tages auf Eliz warten, wie
ein Wachposten, unter einem Baum, sie kam dann verspätet, er hätte sie
genausogut zu Hause oder in einem Kaffeehaus erwarten können, ja es machte in
den meisten Fällen gar keinen Sinn, an dem bestimmten Ort auf sie zu warten.
Diese sonderbare Diensteinteilung, die ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit in
Anspruch nahm, hinderte Askenasi natürlich daran, seine begonnenen Arbeiten
fortzusetzen und seinen Studien zu leben; auch das schien ihm natürlich, wie in
seiner Militärzeit, als er sich ebenfalls nicht mit den Aufgaben seines
Zivillebens beschäftigen konnte. So
sah er sich auch manchmal im Traum, in Uniform, auf der Brust kleinere
Auszeichnungen, wie er Eliz etwas meldete; und er dachte auch, daß das
Soldatenleben zwar schön war, es aber auch nicht weiter schlimm wäre, wenn
seine Dienstzeit abliefe und er zu seinen Studien zurückkehren könnte, zu dem
bescheidenen und unbeholfenen zivilen Lebensstil, dem jede Disziplin,
Schneidigkeit und jedes Heldentum fehlte, der für ihn aber trotzdem das wahre
Leben bedeutete.
Diese
Gedanken kamen ihm natürlich eher im Traum; im Wachen riß ihn der
Ausnahmezustand, diese stramme und seltsame Haltung, die mit seinem
veränderten Erdendasein einherging, immer von neuem mit sich. Doch er vergaß
keinen Augenblick, daß es sich um ein Übergangsstadium handelte, das er hinter
sich bringen mußte; es war nicht die richtige Daseinsform für ihn. Wie es aussieht,
bin ich kein Berufsverliebter, dachte er bisweilen nach einem solchen wirren
Traum. Denn er hatte bemerkt, daß es unter den Männern zackige Berufsverliebte
gab, die sich der Liebe widmeten, wie andere ins Amt gingen, und deren Leben
der Dienst an den Frauen wie ein Metier zur Gänze ausfüllte; diese Heroen, die
sich mit Leib und Seele dem soldatischen Leben hingegeben hatten, sich mit
nichts anderem beschäftigten und es mit der Zeit auf dieser Laufbahn sicher
weit brachten, beobachtete Askenasi mit stillem Neid. In der Gesellschaft
solcher Männer fühlte er sich nie völlig heimisch, sondern ungefähr so, wie ein
hoffnungsloser
Zivilist oder ein Reserveoffizier sich unter aktiven Offizieren fühlen mag, die
ihn nicht ganz ernst nehmen.
Im
Zivilleben, dachte er manchmal im Halbschlaf nach anstrengendem, wenngleich
rühmlichem und trefflichem Dienst, kann ich es vielleicht noch zu etwas
bringen; doch erst muß ich das Dienstjahr absolvieren. Und manchmal hatte er
das Gefühl, zu fliegen; er träumte, er sei Lindbergh und fliege zwischen den
Kontinenten über den Ozean, erschreckt umzukehren oder zu landen war nicht mehr
möglich; jetzt hieß es fliegen, bis er Land erreichte. Der Kontinent, den er
hinter sich gelassen hatte, war ohne Zweifel Anna – doch das Ziel, den sicheren
Hafen, das andere Ufer, auf das er zuhielt, verwechselte er in seinen Träumen
niemals mit Eliz; das Ziel war einfach der unbekannte Erdteil, wohin
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