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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Fremde
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er
gelangen mußte und wo ihn weiß der Himmel was erwartete.
    Eliz war
»das Fliegen selbst«, das »Erlebnis«, die Lebensgefahr – so empfand er es –
doch niemals das Ufer. Dieser Traum war sehr bildlich, wie auch der andere von
der Dienstzeit und der Uniform; manchmal achtete er auf den Höhenmesser oder
das Wetter, Regen, Hagel und Sturm, die er überstehen mußte, um sein Ziel zu
erreichen. Anna war das zurückgelassene Heim, süß und schmerzlich wie die
Kindheit, voll quälender und doch trauter Erinnerung, Anna war die Mutter und
das Elternhaus – nicht deren Fortsetzung, sie war es persönlich –, das man
eines Tages endgültig verlassen muß,
wenn man erwachsen ist und einen Schnurrbart, Geld und eine Geliebte hat.
    Eliz konnte
ich wirklich nicht zu Anna nach Hause bringen, dachte er manchmal zu seiner
Rechtfertigung.
    Wie lange
kann das dauern, ging es ihm manchmal durch den Kopf, diese quälende Reise?
Und wenn ich irgendwo ankomme, was dann? Zu Anna kann ich nicht mehr zurück. Er
wußte, daß Anna die Stärkere war, die ihn festhielt und niemals mehr loslassen
würde; seltsam, daß er trotzdem nicht wieder ganz zu ihr zurückkonnte,
höchstens mit ihr leben konnte er, unter einem Dach, doch nur noch als Besucher
und Gast, wie er manchmal zu seiner Mutter aufs Land fuhr; Anna war für immer
das Zuhause, doch er war diesem Zuhause entwachsen, und wenn er an ihr
gemeinsames Bett dachte, hatte er das Gefühl, gar nicht hineinzupassen, so wie
ein Erwachsener nicht mehr in das Gitterbett der Kindheit paßt.
    Um Anna
herum war alles sinnvoll und makellos, ihr Mund, ihre Hand, die Bettwäsche und
Tischtücher zu Hause hatten einen guten, heimeligen Geruch, auch die Bewegung,
mit der Anna etwas in die Hand nahm, hatte einen unmißverständlichen Sinn.
Eliz war viel interessanter, doch er berührte sie immer mit Argwohn, wie man unterwegs
Dinge berührt, im Hotel oder im Zug, also in viel anziehenderer und
aufregenderer Umgebung als daheim; manchmal wusch er sich aber doch extra die
Hände oder badete.
    In diesen
Monaten gab es jeden Tag Stunden, in welchen er mit seiner Zeit nichts
anzufangen wußte, wie im Chaos einer fremden Stadt, wenn der Reisende untätig
im Hotelzimmer sitzt und auf die Zeit des Abendessens oder der Abreise wartet.
Wieder und wieder überraschte ihn, was für ein komplizierter und
vielschichtiger Zustand das Glück war. Doch nun war er bereits von zu Hause
fortgegangen und mußte auch das Glück geduldig über sich ergehen lassen; und
dann, ja, dann würde er vielleicht irgendwo ankommen. So dachte er.
    ***
    Eliz kam
manchmal spät nach
Hause, und manchmal verließ sie ihr Zimmer tagelang nicht; manchmal forderte
sie Askenasi auf, sie zu begleiten, und dann gingen sie in fremde, luxuriöse,
doch schwer einzuordnende Wohnungen (Askenasi mußte sich »feinmachen«, und Eliz
prüfte persönlich die Wahl der Krawatte, des Anzugs und der Schuhe), wo sich
fremde, wahrscheinlich sehr interessante, mal unterhaltsame,
mal langweilige Menschen aufhielten, alle sichtlich sehr reich oder sehr
berühmt, kurz, auf
irgendeinem Gebiet außerordentlich bedeutend. Sie empfingen Askenasi mit
ausnehmender Herzlichkeit, ungefähr so, wie in einem exotischen Land der
Botschafter eines fremden Staates empfangen wird.
    Eliz hatte
in diesen Wohnungen Bürgerrecht, die Sprache der Bewohner war ihr geläufig,
Askenasi konnte den
eigenartigen Wendungen des ihm fremden Dialekts nur mit Mühe folgen. Auf diese
Weise lernte er viele berühmte Menschen kennen, die sich in der Sphäre des
Geldes, des Theaters oder irgendeines anderen Metiers außerordentliches
Ansehen erworben hatten – er wußte niemals genau, ob diese Leute Goldwäscher
waren oder Geflügelhändler großen Stils oder weltberühmte »Textschreiber«. Es
gab auch einige, deren Namen die anderen mit großem Respekt aussprachen, ohne
die Gattung zu nennen, in der die Berühmtheit zu brillieren pflegte. In diesen
Gesellschaften fanden sich offene und unterhaltsame, nicht selten sogar
außerordentlich geistreiche Menschen; alle sprachen dieselbe Sprache, mehr oder
weniger flüssig. Doch es gelang ihm nur selten herauszufinden, ob etwa dieser
besonders herzliche, prächtige Mensch, mit dem er sich in einer Ecke eine halbe
Stunde angenehm unterhalten hatte, nun Filmschauspieler oder Soziologe war.
    In dieser
Welt blieb jedes Wort, jede Bewegung einen Millimeter von der Wirklichkeit
entfernt – manchmal pirschten sie sich ganz nahe an sie heran, doch im

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