Sandor Marai
Rede wert, wo man
schläft oder was man macht. Er küßte Anna, den bekannten Mund, von dem ihm jede
Bewegung, jeder Geruch vertraut war, seine Stellung während des Kusses, wie er
gehorsam reagierte, weich und schamlos, etwa so wie in der ersten Zeit, als
noch »Geheimnis« zwischen ihnen war.
Auf einmal
war Anna fremd geworden; er wandte sich um und schloß die Tür ab. Anna zog die
Decke vom Bett und begann wortlos, sich zu entkleiden. Nein, das ist
unmöglich, dachte er unruhig, Anna ist viel zu seriös dazu, sie ist zu so etwas
Unseriösem nicht imstande. Er sah sich um, als wollte er fliehen; vielleicht
ist sie verrückt geworden, dachte er erschreckt, eine Verrücktheit, die Sache
des Körpers, unmöglich, daß Anna, die so seriös und nüchtern ist ... Doch es
war Sache des
Körpers, wozu sie sich anschickte, zu allem entschlossen; eine »Verrücktheit«
war es, wirklich schmachvoll und gar nicht passend zu zwei so seriösen
Menschen und guten Freunden, wie sie es waren, doch es ließ sich nicht
vermeiden, jetzt wäre es bereits eine Riesenschande gewesen, die Flucht zu
ergreifen.
Anna
vertraute ihrem Körper, Askenasi war beinahe gerührt von ihrem Heldenmut, als
er sie nackt auf dem Bett liegen sah, sie bewegte sich nicht, sah sehr weiß aus
im scharfen Morgenlicht, und er wäre in diesem Moment zu jedem ritterlichen
Opfer bereit gewesen, um ihr zu bestätigen, wie schön sie war, doch darum ging
es nicht. Sie lag mit geschlossenen Augen da, vollkommen nackt, wie auf dem
Operationstisch. Sie begannen einander zu küssen.
Die beiden
Körper preßten sich fügsam aneinander, wie wohlgeübte Turner, die jede
Bewegung und jedes Nervenzucken des Partners vorhersehen und ihm zuvorkommend
beispringen. Das ist es offenbar nicht, dachte Askenasi traurig mit geschlossenen
Augen, das ist etwas anderes, denn es ist kein Geheimnis darin. Die beiden
Körper bedienten einander, als würden sie Brot und Salz reichen, unaufgefordert,
wie zwei Tischnachbarn, die die gleiche Speise verzehren und wissen, was dem anderen
fehlt. Unmöglich, dachte Askenasi gelassen, fast träge, als hätte er es nicht
eilig, weil die beiden Körper
ohnehin ihre Pflicht kennen; ohne jeden Zweifel geht es nicht darum,
ursprünglich war das nicht so vorgesehen. Gott kann nicht so armselig sein. Und
etwas später: Augenscheinlich irrt sich Anna, der Körper, das ist nichts.
Derlei paßt wirklich nicht zu mir. Das ist eine Art Bravourstück, wie das koreanische
Akrobatenpaar im Varieté.
Er lächelte
mit geschlossenen Augen. Jetzt sah er das »koreanische Akrobatenpaar« deutlich
vor sich, zwei nackte
Körper im Scheinwerferlicht, wie sie seltsame
Stellungen einnahmen, einander mit dem Erfindungsreichtum des Körpers jagten,
bis in einem
letzten, halsbrecherischen Moment die Musik verstummte,
die Frau einen kurzen, dumpfen Schrei vernehmen ließ – und dann folgte der
Salto mortale ...
Er hörte einen kurzen, dumpfen Schrei; eine Weile lag er reglos da, wartete auf
den Tusch der Kapelle und den aufbrandenden Applaus; dann konnte man heimgehen.
Einige Zeit
später kleidete er sich an und ging. Anna lag reglos auf dem Bett, als würde
sie schlafen. In der Tür blickte er sich um und begann zu befürchten, Anna
könnte sich erkälten, wenn sie noch lange nackt bliebe. Er ging zum Bett zurück
und deckte sie sorgfältig zu.
Auf
Zehenspitzen ging er aus dem Zimmer, in der Diele fiel ihm noch ein, daß er
vielleicht packen sollte,
Kleider oder Bücher; doch dann erschrak er, sah auf die Uhr, als hätte er
Angst, sich zu verspäten, und verließ eilig die Wohnung.
***
Er
mochte drei Monate
mit der Fremden zusammengelebt haben, als er sich zu wundern begann, wie wenig
Ähnlichkeit das »Glück« oder die »Befriedigung«, mit anderen Worten jener
außergewöhnliche Gemütszustand, der nach allgemein akzeptierter Auffassung
der einzige Lohn für die irdischen Leiden war, in der Praxis mit der
Vorstellung hatte, die man sich davon machte. Was er erlebte, war unzweifelbar
das »Glück«, aber manchmal fand er es seltsam, was für ein unbequemer,
komplizierter und im Endeffekt nicht einmal angenehm zu nennender Zustand das
war. Vor allem bereitete ihm der Hitzegrad des Glücks Unbehagen – es hatte etwas
Übertriebenes, Erzwungenes, als müßte er den ganzen Tag, auch morgens und unter
der Woche, in Frack und Zylinder gehen.
Er bemerkte
allmählich, daß man auch das Glück nicht als Privateigentum betrachten konnte,
das man eines Tages in Besitz
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