Sandor Marai
manchmal saß sie staunend vor dem Spiegel und beteuerte, es sei nicht
sie selbst. Manchmal küßte sie ihre eigene Schulter und lobte sich, wie gut
sie sei, die Welt würde sie gar nicht verdienen. Besonders Askenasi nicht.
Manchmal meinte er zu bemerken, daß Eliz ihn schon vergessen hatte; vielleicht
waren sie nur mehr aus Zerstreutheit zusammen. Eliz hatte versäumt, ihm zu
sagen, daß es genug war, und nun lungerte er
in der Wohnung herum, bis ihn jemand von den Hausbewohnern bemerken und
heimschicken würde. Sie sprach mit den Männern, die bei ihnen verkehrten, in
ebenso eifersüchtigem, leidenschaftlichem Ton wie mit Askenasi; wahrscheinlich
war ihr jeder Mann gleichermaßen wichtig, auch diejenigen, die sie noch gar
nicht kannte und die in Lappland lebten.
In dieser
Zeit führte Askenasi ein gleichmäßiges und heiteres Leben. Wahrscheinlich
hätte er sich leicht über Eliz’ Verhältnisse ins Bild setzen können, vielleicht
hätte er nur hinhören müssen, wenn sie mit Besuchern sprach, einen Brief lesen,
um ihren Reisepaß bitten. Zeitweise vermutete er, Eliz sei eine gewöhnliche,
nicht sehr bedeutende Abenteurerin und möglicherweise gar nicht mal besonders
interessant. Diese Beobachtungen verdarben ihm seine gute Laune nicht, dieses
heitere Gefühl der Sicherheit, das ihn ständig begleitete, weil er wußte, daß
er recht hatte, daß gut war, wie es war, und gar nicht anders sein konnte. Er
beschäftigte sich mit der »Zukunft« nicht mit solcher Neugier wie Eliz. Oft erklärte
sie ihm, daß bei ihnen »die Dinge anders lägen«, weil er zu »einer anderen
Spezies« gehöre.
Askenasi
nickte. Sein Verhältnis mit einer Tänzerin interessierte zu der Zeit bereits
weite Kreise; von der Universität erbat er sich einen längeren Urlaub, auch mit
seinen Studien beschäftigte er sich nicht. Er beschäftigte sich mit Eliz. Er betrachtete
sie, wenn sie schlief, wartete geduldig, bis sie von
einer ihrer spontanen Unternehmungen heimkam, nahm ihre Sachen und
Kleidungsstücke in die Hand und untersuchte sie. Eliz war zuweilen ermüdend,
doch niemals langweilig, oft lächerlich hochtrabend, manchmal entspannend
ordinär, doch alles in allem eine einfache und erschreckend aufrichtige Frau,
alles andere als geheimnisvoll. Ihre Lebensweise, ihre Bekanntschaften, ihre
sonderbaren Geschäfte, all das interessierte Askenasi wenig, er entstammte
einer anderen Welt, einem anderem Leben und nahm ohne weiteres an, daß die
überwiegende Mehrheit der Menschen, von deren Lebensweise er nichts wußte, in
ebensolcher wirren Sprunghaftigkeit lebte wie Eliz. Persönliche Fakten, die
»Polizeiakte«, wie er es bei sich nannte, interessierten ihn nicht. Eliz
wirkte auf ihn eher wie eine Reisegefährtin, mit der man sich endlich auf den
Weg machen konnte; und diese Reise führte nicht in die Welt, am wenigsten in
Eliz’ Welt.
Eliz war
für Männer gewiß eine sehr originelle, sehr attraktive, außerordentlich
interessante Frau; doch Askenasi setzte seine Hoffnung nicht mehr auf sie, und
er war auch gar nicht ihretwegen besorgt – es kam ihm auf den Hinweis an,
darauf, das Zeichen nicht zu verpassen, achtzugeben, wenn Eliz ihm endlich die
Richtung wies, damit er weiterkonnte auf seinem eigenen Weg, der ihn anzog und
ihm Furcht einflößte, denn vor ihm herrschte vollständiges Dunkel. Auf diesem
Abschnitt des Weges konnte ihm Anna nicht mehr helfen; auch Eliz konnte nur bis
zur nächsten Biegung mit ihm gehen. Er
lag auf der Lauer, beobachtete, wartete auf den Moment, wenn er auch Eliz
verlassen mußte, genauso »rücksichtslos« oder »grausam«, wie er Anna verlassen
hatte; wie er vielleicht alle verlassen mußte, um weiterzukönnen, wenn er nun
einmal aufgebrochen war – mit wachsender Furcht dachte er an den Moment, wenn
dieses »Liebesidyll«, dieses »Abenteuer« zu Ende sein und er rettungslos mit
der Aufgabe allein bleiben würde, die das Schicksal, leider, ausgerechnet ihm
zugedacht hatte.
Er lebte
ruhig und geduldig, lange Monate hindurch, in fremden Zimmern, Auge in Auge
mit einer Fremden, in der kläglichen Maske des alternden Liebhabers, in einer
unbestimmbaren Umgebung, und lauerte auf das Zeichen, den geheimnisvollen
Schlüssel, mit dessen Hilfe das üppige Geflecht der vielen Bilder und Figuren
mit einem Mal Sinn bekommen würde. Er wußte, wenn er achtgab und standhaft
blieb, würde er eines Tages eine zusammenhängende Antwort auf die Frage
bekommen; sicher, zuvor mußte er sie sehr sorgfältig formulieren,
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