Sandor Marai
Verhältnis zu
ihm war intim und familiär vertraulich, keinerlei künstliche Distanz trennte
sie von ihren Sinnen. Sie kannte kein Schamgefühl, noch weniger die vorsichtige
Feierlichkeit, die im Sinne gesellschaftlicher Übereinkunft die Unternehmungen
des Körpers als gesonderte heidnische Feste wertete; Eliz kannte keine Wochen- oder Feiertage der Sinne. Sie feierte den Körper immer, mit kleinen, sich rhythmisch
wiederholenden Zeremonien, sie konnte sich mit ihren eigenen Händen und Füßen
unterhalten, streichelte freundlich ihre Brüste und betrachtete
Nacktheit nicht als Kostüm der Liebe, das ihre Jünger nur zur Feierstunde
anlegen; sie war häufig nackt und kleidete sich nur manchmal an, dann eher aus
klimatischen Gründen als aus gesellschaftlichen Rücksichten.
Vielleicht
der Körper, dachte Askenasi vorsichtig. Vielleicht weiß der etwas. Argwöhnisch
forschte er weiter. Wie alle Männer innerhalb einer gewissen Zivilisation
hatte er von Jugend an viel an den künstlichen Beschränkungen der körperlichen
Befriedigung zu leiden gehabt; doch er tröstete sich, daß es »absolute
Befriedigung nicht gibt«. Die Befriedigung war ein transzendentaler Begriff wie
die Unendlichkeit; ein unbekanntes »X«, mit dem nur die Philosophie arbeitete,
in der Realität aber hatte man sich mit viel kleineren Ziffern zu begnügen.
Und jetzt, in Eliz’ Gesellschaft, formulierte er zum ersten Mal die neugierige
Frage: »Warum eigentlich gibt es keine Befriedigung?« Er wußte, aufgeschreckt
und mit dem Gefühl, endlich eine Spur entdeckt zu haben, daß er von hier aus
weitersuchen mußte. Eliz’ Körper antwortete bereitwillig, rückhaltlos auf
seine neugierigen Fragen. Eliz war selbst neugierig. Ihr Körper wußte nichts
von Zögern oder Furcht, er ließ sich willig leiten, ewiger Schüler und Lehrer
in einem, er achtete auf jedes Zeichen, ließ sich auch von Gefahren nicht
abschrecken und kannte weder Müdigkeit noch Scham oder Ekel.
Eliz’
Körper hatte ein verwandtschaftliches Verhältnis zu allen lebenden Körpern,
auch zu dem Askenasis;
die beiden Körper erkannten und begrüßten einander, schon im ersten Moment,
als sich an jenem Nachmittag die Hotelzimmertür hinter ihnen schloß; doch ohne
überschäumende Freude, sondern mit der Vertrautheit von Familienmitgliedern
und verwandtschaftlicher Intimität. Auch Askenasi gehörte zu diesem »verwandtschaftlichen
Kreis«; vielleicht hatte er deshalb auf den Stufen der Untergrundbahn
innegehalten, deshalb hatte Eliz »venez« gesagt. Doch wahrscheinlich waren
auch Hindus, Araber und Deutsche Mitglieder ihrer ausgedehnten körperlichen
Verwandtschaft – jeder, der in seinem Körper die Antwort auf eine Frage trug,
gehörte zu ihrer Familie. Eliz war freigebig und selbstlos in der Liebe, als
wäre ihr gleichgültig, wieviel sie vergeudete, weil es »ohnehin in der Familie
blieb«. Sie kannte keine gesonderten Stunden der Liebe, das Leben war für sie
ein einziges Schäferstündchen, das hin und wieder aufgrund von äußeren
Störungen für kurze Zeit unterbrochen werden mußte. Askenasi wußte, wenn ihm
überhaupt ein Körper antworten konnte, dann war nur Eliz’ Körper dazu in der
Lage.
Das
»Abenteuer« hatte in einem Hotelzimmer begonnen, mit einer Fremden, und bisher
hatte er nur wenig davon verstanden. Nach Entbehrungen – die er für natürlich
hielt und mit allen zivilisierten Menschen teilte – lernte er eine Frau kennen,
in deren Gesellschaft er nicht so entbehrte wie bis dahin, er hatte keinen
besonderen Grund, die Flucht zu ergreifen; das war alles, was er verstand!
Monate vergingen,
bis er den Verdacht schöpfte, daß das »Abenteuer« nicht das Hotelzimmer und nicht
die unvollkommene Befriedigung war, die Eliz bieten konnte – es begann
wahrscheinlich dort, wo der Körper auf die Frage, die auch im Bett und in Eliz’
Armen nicht verstummte, nicht mehr antworten konnte. Eliz war ein ausdauernder
Führer, und sie lotste ihn durch das Reich des Körpers bis an dessen Grenze,
durch Abgründe und Urwälder; weiter konnte sie nicht, vor dem unbekannten
Gebiet schreckte sie zurück, und Askenasi blieb sich selbst überlassen.
Was der
Körper bieten konnte, das gab ihm Eliz gern, mit verschwenderischen und
natürlichen Bewegungen, wie jemand, der jeden Dank abwehrt: nicht der Rede
wert. Einmal schien es ihm, daß es sehr viel war, was er von Eliz bekommen
hatte, nur eben nicht genug. Die Antwort des Körpers war kurz, unmißverständlich,
einsilbig,
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