Sandor Marai
was keine
leichte Aufgabe war.
Er
beobachtete Eliz, jede ihrer Bewegungen, wie sie telephonierte, badete, sich
frisierte oder aß; in ihrer Gesellschaft war er bescheiden, fast wortkarg, doch
um so hartnäckiger. Mit leeren Händen wollte er auf keinen Fall fortgehen. Anna
hatte die Frage nicht beantworten können, fünfzehn Jahre lang nicht; jetzt
fragte er eben Eliz, und wenn auch sie keine Antwort wußte, würde er wieder
aufbrechen und jeden fragen, der ihm über den Weg lief. Mit den Mitteln
des Verstandes konnte er keine Lösung finden, nun war er gezwungen
weiterzuforschen, mit geringeren, verdächtigeren und unsaubereren Mitteln, wie
Körper und Sinne es waren.
An
denjenigen, der die Antwort kannte – an »die Idee«, wie er es nannte –, konnte
er sich vorläufig nicht wenden. Aus Trotz forschte er allein weiter. Das
»kleine Komitee« arbeitete bereits in höchster Alarmstufe gegen ihn, und
Askenasi wehrte sich gar nicht sonderlich, er weilte manchmal im Kreis seiner
Freunde, unterhielt sich mit alten Bekannten, die ihn von einem erhöhten
Standpunkt aus trösteten, wie ein unbescholtener Mensch einem Untersuchungshäftling
gut zuredet, sie baten ihn, stark und gelassen zu bleiben, der Verdacht werde
sich schon zerstreuen und die Wahrheit mit der Zeit triumphieren.
Auch
Askenasi wollte nichts anderes als die Wahrheit. Als sie einmal nach einem in
Gesellschaft der reichen und interessanten Leute verbrachten Abend
heimkehrten, stellte er sich im Frack vor den Spiegel und musterte sich. Das
bedeutet nichts, dachte er, Kőrösi-Csoma zum Beispiel hat sich wie ein
Lama gekleidet. Als Eliz eingeschlafen war, machte er eine Lampe an und betrachtete
das fremde Gesicht bis zum Morgengrauen, mit der Ausdauer, mit der er in seiner
Studentenzeit über fremden Texten gewacht hatte; er suchte in ihren Zügen
Botschaft, Sinn und Antwort wie in den bizarren Zeichen orientalischer
Bilderschriften.
Das kann
unmöglich alles sein, dachte er in jenen Nächten. Er
blieb gelassen, hartnäckig und neugierig; er wollte wirklich nicht viel, nur
die Antwort. Die »Methode«, mit der er Eliz, sich selbst und ihr Verhältnis
beobachtete, war fast dieselbe, mit der er früher an seinen Studien gearbeitet
hatte. Jede Kleinigkeit registrierte und verglich er, denn er wußte, daß es
nichts Nebensächliches und Unbedeutendes gab. Er hegte keinen Zweifel, daß
sein neues Forschungsgebiet viel gefährlicher war als das alte.
Askenasi
hatte keine hohe Meinung vom »Erlebnis«; seine Erziehung und seine Überzeugung
hatten ihn immer davor bewahrt, das Erlebnis anderswo zu suchen als an der
Quelle, dem Bewußtsein. Das Erlebnis kann ohnehin nicht das Ziel sein, dachte
er und holte sein Binokel hervor, um die schlafende Eliz eingehender betrachten
zu können, um so weniger, als es ein Ziel überhaupt nicht gibt. Das ist das
Göttliche in dieser Formulierung, das Großzügige, diese Zwecklosigkeit. Doch
das gilt nur für das Weltall. Hier auf der Erde muß ich mich mit der
euklidischen Geometrie zufriedengeben, der logischen Verbindung der
Einzelheiten, zum Beispiel mit Eliz. Er hielt es nicht für wahrscheinlich, daß
er, Viktor Henrik Askenasi, die Antwort mit Eliz’ Hilfe von heute auf morgen finden
würde, die Antwort, die er in Büchern und in seinem Bewußtsein
siebenundvierzig Jahren lang nicht gefunden hatte, und die ihm weder seine
Mutter noch Anna hatte geben können, auch niemand von den Frauen und Männern,
denen er bisher begegnet war – und die allesamt unmenschlich litten, weil auch sie die
Antwort suchten und bei ihren leidenschaftlichen Nachforschungen oft zugrunde
gingen.
Er glaubte
nicht, daß er dieses gefährliche Forschungsunternehmen »wegen einer Frau«
wagte; der Ballast, den er bei seinem Aufbruch abgeworfen hatte, war nichts
Wertloses, es waren Menschen, darunter so hervorragende und edle Menschen wie
Anna. Natürlich hatte er diese gefährliche Reise nur allein und ohne
überflüssiges Gepäck antreten können. Wer mit unbekannten Sprengstoffen
experimentiert, nimmt seine Familie nicht mit ins Labor. Es hätte keinen Zweck
gehabt, Eliz direkte Fragen zu stellen; wie ein ungebildetes Medium, das in
Trance mehrere Sprachen spricht, doch im Wachen wortkarg und unwissend ist,
wußte auch Eliz nicht mehr über die »Frage« und die »Antwort« als Askenasi. Es
war einfach abzuwarten, daß sie in den Zustand der Entrücktheit geriet.
Eliz war
ein gutes Medium. Sie lebte in großer Nähe zu ihrem Körper, ihr
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