Sanft berührt – und schon verführt?

selbst war in der chaotischen Welt Hollywoods aufgewachsen, war von den Eltern von einem Filmset zum anderen geschleift worden, hatte sich oft angstvoll unter dem Bett verkrochen, wenn die Eltern eine ihrer übertrieben dramatischen Auseinandersetzungen hatten. Kein Wunder, dass sie alles daransetzte, Cammie eine normale und friedliche Kindheit zu ermöglichen. Irgendwann würde vielleicht auch ein netter gewöhnlicher Mann auftauchen, der Olivia heiraten wollte, sodass die Familie komplett war.
    Bisher war das allerdings nicht geschehen.
    Auf dem Weg zurück zum Haus hielt Kieran sie bei der Hand. Auf dem weichen Waldboden waren ihre Schritte kaum zu hören. Ewig hätte Olivia mit ihm so weitergehen können. Er war ein warmherziger und aufrechter Mann, auch wenn er in seiner Jugend ein paar Fehler gemacht hatte. Eindeutig liebte er seine Familie, und auch zu Cammie schien er schon eine große Zuneigung gefasst zu haben.
    Das Problem war, dass er Wolff Mountain als Falle ansah, als Gefängnis, das ihn um seine Kindheit betrogen hatte. Daher kam sein grenzenloser Freiheitswille. Er würde zwar immer mal wieder zu Besuch kommen, aber er würde nie sesshaft werden.
    Sie betraten das Haus durch einen Hintereingang und bemühten sich, leise zu sein, um niemanden aufzuwecken. Als sie das Kinderzimmer betraten, stand Jacob auf und streckte sich. „Ich hatte euch schon aufgegeben.“
    „Entschuldige, Bruder. Aber ich habe ein bisschen das Zeitgefühl verloren. Es ist eine so wunderbare Nacht.“
    Jacob warf Olivia einen wachsamen Blick zu. „Seien Sie vorsichtig. Wir haben Kieran immer ‚Werwolf‘ genannt, weil er so gern des Nachts im Wald unterwegs war.“
    Sie wurde rot. Wusste Jacob, was sie im Wald gemacht hatten? Aber wie sollte er … „Es war ein wunderschöner Spaziergang.“
    Als Jacob gegangen war, herrschte eine angespannte Stille im Raum, die Kieran schließlich durchbrach. „Kommst du noch mit zu mir?“
    Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin müde. Und Cammie ist morgens immer früh auf. Gute Nacht.“ Dabei wäre sie so gern mit ihm gegangen, aber sie musste unbedingt Abstand gewinnen. Denn sie musste ihre Fähigkeit zurückerlangen, klar zu denken. Wie sollte sie sonst einen Weg finden, ihr verletzliches Herz zu schützen?
    Am späten Vormittag des nächsten Tages traf Kierans Cousine Annalise ein. Wie ein Wirbelwind fiel sie in das Haus ein. Ihr Lachen war so ansteckend, dass man sie einfach gernhaben musste.
    „Ich freue mich riesig, euch beide kennenzulernen.“ Sie schleuderte die teuren Prada High Heels von den Füßen und hockte sich vor Cammie hin. Schlagartig wurde sie ernst, stand langsam auf und sah Olivia durchdringend an. Dann schüttelte sie lächelnd die schwarze Mähne. „Das ist also Cammie?“
    „Ja.“ Olivia bemühte sich um einen gleichmütigen Tonfall. Auf keinen Fall wollte sie etwas sagen, was sie später bereute. „Und wie waren die Ferien mit Ihrer Familie?“
    „Gut soweit. Daddy und die Jungs sind immer noch in Wyoming zum Angeln. Aber ich hatte genug von den ekligen Ködern und vor allem den Mücken.“ Sie umarmte Jacob und Kieran, die zum Lunch nach Hause gekommen waren. „Außerdem wollte ich unbedingt meine beiden Cousins wiedersehen. Mit Kieran ist es ja wie mit dem Ungeheuer von Loch Ness. Man sieht ihn äußerst selten. Und kaum ist er da, ist er auch schon wieder weg.“ Erneut lachte sie herzhaft.
    „Sehr witzig.“ Kieran grinste, legte ihr einen Arm um die Schultern und führte sie ins Esszimmer. „Gib zu, du wolltest nur sehen, wen ich mitgebracht habe.“
    Sie krauste die kleine gerade Nase und warf Olivia kurz einen schuldbewussten Blick zu. „Du kennst mich zu gut. Ich bin neugierig, mein alter Fehler. Wie oft habt ihr Jungs mich damit aufgezogen.“ Sie strich Cammie über den Kopf, als sie sich neben sie setzte.
    Olivia nahm auf der anderen Seite des Tisches Platz. „Als einziges Mädchen hatten Sie es sicher nicht leicht.“
    „Das kann man wohl sagen!“ Sie schaute sich in der Runde um. „Wo ist denn Onkel Victor?“
    „Er hatte keine gute Nacht.“ Jacob schüttelte besorgt den Kopf. „Aber er hofft, beim Dinner dabei sein zu können.“
    Während des Lunchs, der aus kalten Salaten und Obst bestand, beobachtete Olivia interessiert, wie die junge Frau mit ihren Cousins umging. Annalise hing sehr an Kieran und Jacob, das war deutlich zu merken. Die drei neckten sich gegenseitig auf eine liebenswürdige Art und Weise, machten