Sanft kommt der Tod
aufbewahrt, sie hätte also durchaus die Gelegenheit gehabt, das Gift in den Kakao zu tun. Tja, aber ich nehme an, jetzt werden Sie niemanden verhaften.«
»So sieht's aus.« Wieder nahm Eve einen Schluck von ihrem grässlichen Kaffee. Zwei Mädels, die etwas zusammen tranken und sich dabei unterhielten, dachte sie.
»Aber woher hattest du das Mittel, das du Williams verabreicht hast? War eine echt gute Idee, ihn im Schwimmbad abzupassen. Um ein Haar hätten wir das Betäubungsmittel gar nicht mehr gefunden, weil es nur eine winzig kleine Menge war. Nur hat dir das Timing dabei einen Streich gespielt.«
»Dieser dumme Mr Williams. Das Zeug soll schon nach zwei Stunden nicht mehr nachzuweisen sein. Ich hatte es aus diesem Heim für hässliche, alte Leute, in das ich regemäßig gehen muss, obwohl ich am liebsten brechen würde, weil es da immer so schrecklich riecht. Ich singe und tanze für die Leute, lese ihnen etwas vor und höre mir ihre todlangweiligen Geschichten an. Ich kann dort überall herumlaufen, weil mich dort jeder kennt. Sie haben das Zeug unter Verschluss, aber es ist ganz leicht, die Schwester oder den Pfleger für ein paar Minuten abzulenken und dann heimlich an den Schrank zu gehen.«
Sie blickte auf Eves Waffe. »Haben Sie damit schon mal jemanden umgebracht?«
»Ja.«
»Was war das für ein Gefühl?«
»Ich kam mir irgendwie mächtig vor.«
»Uh-huh. Nur hält das Gefühl nicht lange an. Es ist, wie wenn man Eis isst und dann ist die Schüssel leer.« Rayleen stellte ihre Limoflasche fort und drehte ein paar Pirouetten. »Sie können der ganzen Welt erzählen, was ich gesagt habe, und kein einziger Mensch wird Ihnen glauben.«
»So wird's sein. Denn wer würde mir schon glauben, wenn ich sagen würde, du hättest zwei Menschen umgebracht und - vielleicht erfolgreich - versucht, auch noch einen dritten Menschen aus dem Verkehr zu ziehen. Dabei auch noch die eigene Mutter. Ein zehnjähriges Kind.«
Rayleen vollführte ein geschmeidiges Plie. »Das ist noch nicht alles«, stellte sie mit gut gelauntem Singsang fest.
»Was denn noch?«
»Vielleicht werde ich es Ihnen sagen, vielleicht aber auch nicht. Man würde Sie im Irrenhaus einsperren, wenn Sie je behaupten würden, ich hätte es getan.«
»Wenn du es mir nicht erzählen willst, okay. Es ist sowieso schon spät und meine Schicht ist längst vorbei.« Eve stand lässig auf. »Ich habe bereits mehr als genügend Zeit mit diesem Quatsch verbracht.«
Mit über dem Kopf erhobenen Armen tänzelte Rayleen auf Zehenspitzen um Eve herum. »Sie werden es nie, nie, nie erraten.«
»Ich bin zu alt für irgendwelche Spielchen, Kind. So wie die Dinge stehen, vergesse ich am besten möglichst schnell, dass es dich überhaupt gibt.«
Krachend ließ Rayleen sich auf die Fußsohlen fallen. »Sie lassen mich nicht einfach stehen! Ich bin noch nicht fertig! Ich bin diejenige, die Sie geschlagen hat! Sie sind eine schlechte Verliererin.«
»Verklag mich doch.« Eve wandte sich zum Gehen.
»Das erste Mal habe ich einen Menschen umgebracht, als ich erst sieben war.«
Eve blieb wieder stehen und lehnte sich mit dem Rücken an die Tür. »Schwachsinn.«
»Wenn Sie weiter fluchen, werde ich Ihnen nicht erzählen, wie ich meinen kleinen Bruder getötet habe.«
»Er ist die Treppe runtergefallen. Ich habe die Berichte der ermittelnden Beamten, ihre Aufzeichnungen, die Akte zu dem Fall gelesen.«
»Die Polizisten waren genauso dumm wie Sie.«
»Erwartest du etwa allen Ernstes, dass ich glaube, du hättest auch diese Sache durchgezogen, ohne dass es irgendeinem Menschen aufgefallen ist?«
»Ich kann alles, was ich will. Ich habe ihn ganz früh geweckt. Ich musste ihm den Mund zuhalten, als er gekichert hat. Aber er hat auf mich gehört, er hat immer auf mich gehört. Denn er hat mich geliebt.«
»Davon bin ich überzeugt«, antwortete Eve und schaffte es nur noch mit Mühe, weiter so zu klingen, als wäre sie nur mäßig interessiert an dem, was Rayleen von sich gab.
»Er war ganz leise, wie ich es ihm gesagt hatte. Ich habe zu ihm gesagt, wir würden nach unten gehen und uns die Spielsachen angucken und vielleicht sogar den Weihnachtsmann noch sehen. Er hat an den Weihnachtsmann geglaubt. Es war einfach lächerlich. Aber eigentlich war alles ihre Schuld.«
»Wessen?«
»Mein Gott, die Schuld von meinen Eltern. Sie hätten ihn nie bekommen sollen. Er war immer nur im Weg, und sie haben ständig Zeit mit ihm verbracht, die sie mit mir hätten
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