Sanft kommt der Tod
Motiv. Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass ihn jemand zum Schweigen bringen wollte. Angeblich wusste er, dass einer seiner Kollegen sich gern an Kolleginnen und Mütter von Schülern heranmacht.«
»Was zu disziplinarischen Maßnahmen und schlimmstenfalls sogar zu einer Entlassung führen kann. Eine Vergiftung mit Rizin«, überlegte Mira. »Ein bisschen altmodisch und beinahe exotisch. Vor allem nicht so effizient wie andere Methoden, aber leichter erhältlich, wenn man etwas Ahnung davon hat.«
»Das Zeug hat geradezu hervorragend gewirkt.«
»Dann wurde dieser Mo rd also sorgfältig geplant, ge timt und durchgeführt. Der Mann wurde nicht aus einem Impuls, aus einer Laune heraus umgebracht, sondern die Tat war sorgsam kalkuliert.«
Sie balancierte ihre Untertasse so geschickt auf einem Knie, dass Eve sie dafür bewunderte, und fuhr mit ruhiger Stimme fort: »Natürlich ist es möglich, dass das Gift bereits irgendwo in der Umgebung des Mörders war und dass er sich wegen des leichten Zugriffes darauf für diese Methode entschieden hat. Nach allem, was Sie mir erzählt haben, war dem Opfer nicht bewusst, das er in Gefahr oder dass jemand wütend auf ihn war.«
»Er ist nicht von seiner Routine abgewichen«, bestätigte ihr Eve. »Niemand, der ihm nahestand, hat etwas davon gesagt, dass er beunruhigt war.«
»Wahrscheinlich hat der Mörder seinen Widerwillen, seinen Zorn und sein Motiv eine Zeitlang genährt, während er äußerlich völlig normal geblieben ist. Er hat die Details der Tat geplant und sich eine Mordmethode ausgesucht. Für ihn war dieser Mord einfach etwas Unumgängliches. Er brauchte dem Opfer nicht beim Sterben zuzusehen, brauchte es nicht zu berühren, brauchte nicht mit ihm zu sprechen. Und anscheinend war es ihm egal, dass es wahrscheinlich ein Kind oder mehrere Kinder wären, von dem oder denen die Leiche gefunden wird.«
Mira dachte kurz darüber nach. »Wenn es eine Mutter oder ein Vater war, müsste ich sagen, dass es jemand ist, der seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche über die des Kindes stellt. Und wenn es ein Lehrer war, muss es jemand gewesen sein, für den die Kinder einfach ein Teil von seiner Arbeit sind, sonst nichts. Der Mord war ein Mittel zum Zweck. Er wurde effizient und mit einem Minimum an persönlicher Beteiligung des Täters oder der Täterin geplant und durchgeführt.«
»Es geht ihm oder ihr nicht um Aufmerksamkeit oder Ruhm. Er oder sie ist nicht verrückt.«
»Ich würde sagen, nein. Meiner Meinung nach handelt es sich um einen Menschen, der seine Arbeit ordentlich erledigt und sich obendrein an Zeitpläne halten kann.«
»Ich werde mir noch mal das Kollegium ansehen. Wenn ich mich recht entsinne, sind Zeit-beziehungsweise Stundenpläne das A und O des Schulsystems. Und ein Insider hat sich bestimmt auch mit dem Stundenplan des Opfers ausgekannt.«
Sie stand auf und lief ein wenig hin und her. »Außerdem ist es normal, dass Lehrer in der Schule sind. Es ist vollkommen normal, dass sie morgens dort erscheinen, denn das ist schließlich ihr Job. Es waren auch ein paar Eltern und Kindermädchen da, die etwas gebracht haben oder einen Termin mit einer Lehrkraft hatten, aber der Mörder muss gewusst haben, dass es bei genauem
Hinsehen auffallen würde, wenn sein Name auf der Eingangsliste der Schule gestanden hätte, obwohl er dort nicht hingehört.«
»Könnte jemand in das Gebäude gekommen sein, ohne dass es jemand merkt?«
»Das werde ich noch prüfen. Es gibt immer eine Möglichkeit, aber ich halte es in diesem Fall für unwahrscheinlich.« Eve setzte sich wieder hin und stand dann so rastlos wieder auf, dass Mira verwundert verfolgte, was sie tat. »Möglicherweise käme dadurch der Name des Täters gar nicht erst ins Gespräch, aber es wäre nicht so effizient, als wenn man einfach ganz normal zur Tür reinkommt. Und vor allem wäre es riskanter als erforderlich. Der Mord war durchaus nicht unriskant, aber wie Sie selbst gesagt haben, war es ein kalkuliertes Risiko. Ich wette, dieser Hurensohn hat die Tat mehrmals geprobt.«
Sie stopfte ihre Hände in die Hosentaschen und klimperte geistesabwesend mit ein paar losen Münzen. »Wie dem auch sei, danke, dass Sie mir Ihre Zeit geopfert haben.«
»Ich werde die Akte so bald wie möglich lesen. Dann bekommen Sie ein ausgefeilteres Profil von mir.«
»Das ist nett.«
»Und jetzt erzählen Sie mir, was los ist.«
»Das habe ich bereits getan. Es geht um einen toten Mann. Und darum, dass es bisher noch
Weitere Kostenlose Bücher