Sanft wie der Abendwind
noch erklären, was du vorhin in der Bibliothek mit der Bemerkung gemeint hast, ich würde auf Grund meiner Erziehung nicht erwarten, dass es auch Frauen gibt, die mehr moralisches Empfinden haben als streunende Katzen“, erwiderte Lily. „Und ich möchte wissen, ob du mich gerade eben auf die Probe stellen wolltest, zu welcher Art Frauen ich gehöre.“
„Denk nicht länger darüber nach, Lily! Es war eine sehr unpassende Bemerkung.“
Ohne noch etwas zu sagen, drehte er sich um und schwamm rasch ans andere Ende des Pools.
Bevor Lily wieder zu Atem gekommen war und sich beruhigt hatte, war Sebastian schon aus dem Becken geklettert und eilte den Gartenweg entlang. Kurz darauf war er nicht mehr zu sehen, und sie begann sich zu fragen, ob sie sich den ganzen Zwischenfall nur eingebildet hatte.
5. KAPITEL
An den folgenden Tagen vermied Sebastian es, sich mit ihr, Lily, direkt abzugeben. Es fiel ihm nicht schwer, ihr auszuweichen, da sein Anwaltsbüro in der Innenstadt lag. Er schien sich allerdings erstaunlich oft von seinen beruflichen Verpflichtungen freimachen zu können, um ihre Schritte zu überwachen.
Als sie eines Vormittags die welken Blüten von den Rosensträuchern schnitt, hatte sie das unbehagliche Gefühl, beobachtet zu werden. Sie schaute sich um, im Garten war aber niemand außer ihr. Plötzlich sah sie Sebastian im Haus an einem der Fenster stehen und zu ihr blicken. Was denkt er sich eigentlich? fragte Lily sich zugleich amüsiert und gereizt. Dass sie die schönsten Blüten stehlen und an der nächsten Straßenecke verkaufen wollte?
An einem einschläfernd heißen Nachmittag alberte sie mit Natalie im Swimmingpool herum, und als sie kurz aus dem Becken stieg, um mehr Sonnenschutz aufzutragen, war sie von der Sonne so geblendet, dass sie beinah über Sebastian gestolpert wäre, der, die Beine lang ausgestreckt, in einem Stuhl unter dem Sonnenschirm saß.
„Amüsierst du dich?“, fragte er so kalt, dass sie schauderte.
Ja, ich bekomme nur deswegen Gänsehaut, weil er so kühl und ablehnend ist, nicht weil seine Nähe mich an die nächtliche Begegnung im Pool erinnert, redete sie sich ein.
„Hast du etwas dagegen, wenn ich mich amüsiere?“, konterte sie in dem aggressiven Ton, den sie sich Sebastian gegenüber angewöhnt hatte.
„Wenn es Natalie vom Lernen abhält, dann ja. Du hast vielleicht nichts Besseres zu tun, als den Sonnenschein zu genießen, aber sie muss in einem Monat ihre Abschlussprüfung machen und könnte ihre Zeit besser nutzen. Immerhin will sie einen geistig anspruchsvolleren Beruf ergreifen als den einer Blumenverkäuferin.“
Lily hatte ein Diplom als Gartenarchitektin, verschwieg ihm das aber. Sollte er doch ruhig weiter annehmen, dass sie intellektuell eine Niete sei! „Natalie ist erwachsen“, erwiderte sie. „Ich glaube nicht, dass sie deinen Rat braucht, wie sie sich die Zeit einteilen soll und was für sie wichtig ist. Da sie auch meine Schwester ist, nicht nur deine, kannst du dir sicher sein, dass mir ihr Wohl ebenso am Herzen liegt wie dir.“
„Mit solch schönen Sprüchen kannst du vielleicht den anderen Sand in die Augen streuen, mir nicht.“
Die Zurückweisung schmerzte sie wie ein Schlag, obwohl sie sich an Sebastians Feindseligkeit schon hätte gewöhnen müssen.
„Weißt du, was dein Problem ist?“, konterte Lily und hätte am liebsten ihr Haar geschüttelt, um seine tadellos gebügelte Hose nass zu spritzen. „Du bist bloß neidisch, weil du vergessen hast, wie man sich vergnügt. Vorausgesetzt natürlich, du hast es jemals verstanden. Und noch eins: Du bist eifersüchtig auf Natalies Zuneigung zu mir, weil du glaubst, deine Schwester gehöre nur dir allein.“
„Bilde dir bloß nichts ein, Lily“, erwiderte er zynisch. „Du bist nur zufällig die neueste Attraktion, das ist alles.“
Sie war so verärgert, dass sie nicht überlegte, was sie sagte. „Ach ja? Findest du mich auch attraktiv und unwiderstehlich? Hast du mich deshalb geküsst?“
Er stand auf. „Ich habe dich nur geküsst, um dein unablässiges, entnervendes Geschwätz zu stoppen. Den Fehler mache ich kein zweites Mal. Widme dich wieder den kindischen Spielchen mit meiner Schwester. Du hast nicht das Format, um dich mit mir zu messen.“
„Und während ich mich mit kindischen Spielchen vergnüge, vertreibst du dir die Zeit damit, mich zu bewachen, stimmt’s?“
„Ich weiß nicht, wovon du redest.“
„Tu doch nicht so, Sebastian! Glaubst du, ich hätte nicht
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