Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
zerzaust, stolperte mit verwirrtem Blick aus halb offenen Augen in die Küche. »Ich habe Geschrei gehört«, beklagte sie sich und blieb abrupt stehen, als sie Carter bemerkte.
»Das ist Sheriff Carter«, erklärte Jenna widerwillig.
»Ich weiß. Er hat dir einen Strafzettel verpasst.«
Allerdings , dachte Jenna. »Er hat Cassie nach Hause gebracht.«
»Nach Hause? War sie denn nicht zu Hause?« Ihre jüngere Tochter war plötzlich hellwach. Allie machte einen großen Bogen um den Sheriff, wobei sie ihn misstrauisch beäugte, und drückte sich an ihre Mutter.
Jenna sagte: »Cassie ist noch einmal ausgegangen.«
»Ausgegangen?«, wiederholte Allie und warf einen Blick aus dem Fenster in die kalte Nacht hinaus. »Wohin? Sie hat doch Hausarrest?«
»Das geht dich nichts an«, sagte Cassie scharf.
»Wie spät ist es überhaupt?« Allie sah kurz auf die Uhr und dann wieder auf ihre Schwester. »Das versteh ich nicht«, erklärte sie, doch noch während die Worte über ihre Lippen kamen, wechselte ihr Gesichtsausdruck von Verwirrung zu Begreifen. Sie zwinkerte. Presste die Lippen zusammen. Hielt den Mund. Sie hatte verstanden. Sie stellte unverzüglich das Fragen ein, und Jenna bemerkte zu ihrer Überraschung, wie ihre Töchter stumm einen Blick wechselten wie in einer stillen Übereinkunft, von der Jenna bis zu diesem Augenblick nichts geahnt hatte.
»Wir reden morgen früh weiter über diese Sache, wenn wir alle ausgeschlafen sind und ein bisschen klarer denken können. Wichtig ist, dass heute Nacht niemandem etwas zugestoßen ist. Und ihr beide« – dabei zeigte sie mit dem Finger auf ihre Töchter – »geht jetzt ins Bett.« Jenna wies mit einer Kopfbewegung zur Treppe.
Cassie lief eilig los, als rechnete sie damit, noch einmal zurückgerufen zu werden. Sie polterte die Stufen hinauf, ganz anders als noch wenige Stunden vorher. Da war sie geräuschlos auf Zehenspitzen nach draußen geschlichen. Sie hatte Übung. Jenna mochte gar nicht daran denken, wie oft das Mädchen wohl schon leise durch den Flur und die Treppe hinuntergeschlichen war. Wie oft hatte Cassie sie belogen? Wie oft hatte sie die Alarmanlage ausgeschaltet und die Türen aufgeschlossen, um hinaus in die Dunkelheit zu schlüpfen, zu ihrem Rendezvous mit Josh?
Jenna wurde flau im Magen. Was trieben sie dann? Tranken sie? Natürlich. Hatten sie Sex? Höchstwahrscheinlich. Rauchten sie Marihuana oder Crack? Lieber Himmel, hoffentlich nicht. Welche Drogen waren in dieser Gegend leicht zu beschaffen? Metamphetamine? Ecstasy? Ganz sicher. O Gott.
Jenna seufzte hörbar auf. Durchaus möglich, dass Cassie längst schwanger war.
Hab ein bisschen mehr Vertrauen zu ihr, ja?
Nachdem sie sie in der vergangenen Woche zweimal beim unerlaubten Ausgehen ertappt hatte? Wohl kaum.
So gern Jenna ihren Kindern vertrauen wollte, sie konnte doch nicht glauben, dass Cassie und Josh keinen Sex hatten. Und Cassie war erst sechzehn. Was für ein Schlamassel!
Am liebsten hätte sie Josh Sykes den dürren Hals umgedreht und ihn anschließend kastriert!
»Na großartig«, murmelte sie wütend, bevor ihr klar wurde, dass Sheriff Carter, die Hände in den Jackentaschen vergraben, immer noch in ihrer Küche stand und sie mit seinen vorwurfsvollen braunen Augen ansah. »Entschuldigen Sie«, sagte sie hastig. »Ich bin Ihnen wirklich dankbar dafür, dass Sie Cassie nach Hause gebracht haben.«
Er nickte. »Kein Problem«, erwiderte er, doch seine Miene drückte etwas anderes aus. »Leider ist es damit nicht getan. Sie wird sich trotzdem vor dem Jugendgericht verantworten müssen.«
»Was in Anbetracht der Vorfälle vielleicht nicht das Schlechteste ist. Cassie kann so einen Schrecken oder Schock gut gebrauchen – ein Erlebnis, das sie ordentlich aufrüttelt, ihren Blick für die Realität schärft und ihr Verantwortungsbewusstsein weckt.« Jenna strich sich das Haar aus dem Gesicht und schüttelte den Kopf. »Meine Tochter nimmt von mir kaum noch einen Rat an.«
»Was ist mit ihrem Vater?«
»Robert?« Jenna lachte kurz und freudlos auf. »O ja, sicher. Ich rufe ihn gleich morgen früh an … Nein, zuerst soll Cassie ihn anrufen und gerade stehen für das, was sie angestellt hat.« Sie hatte Angst vor der Konfrontation. Zweifellos würde Robert Jenna die Schuld daran geben, dass sie ihre Töchter nicht unter Kontrolle hatte. Er war großartig darin, anderen die Schuld zuzuweisen, statt sich den Problemen selbst zu stellen. In schwierigen Fragen war der Umgang
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