Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
mit Robert wie ein Spaziergang durch Fließsand. Unmöglich, sinnlos und mit allem möglichen emotionalen Mist beladen, der Jenna fertig machte. Wenn Robert von den Vorfällen erfuhr, würde das nichts, aber auch gar nichts zum Besseren hin verändern.
Wieder fühlte sie sich von Carter beobachtet, und plötzlich wurde ihr bewusst, wie sie aussehen musste – zerzaustes Haar, kein Hauch von Lippenstift, das Gesicht zerfurcht von Sorge, im karierten Flanell-Pyjama, der unter ihrem leicht abgetragenen Lieblings-Morgenmantel aus Chenille hervorschaute. Nicht gerade der glamouröse Hollywoodlook , dachte sie zynisch. »Himmel, habe ich denn meine Manieren vergessen?«, bemerkte sie scherzhaft und verzog die Lippen zu einem selbstironischen Lächeln. »Ich fürchte, ich bin an Gäste um vier Uhr morgens nicht gewöhnt.«
»Ich bin nicht als Gast gekommen.« Seine Stimme war tief, aber nicht so barsch wie sonst. Als ob er verstünde, was sie in dieser Nacht durchgemacht hatte. Herrgott, vielleicht hatte der Kerl doch tatsächlich irgendwo in seinem mächtigen Brustkasten ein Herz verborgen. Nein, darauf wollte Jenna keine Wette eingehen.
»Tja, nun sind Sie aber schon mal hier. Also … möchten Sie vielleicht eine Tasse Kaffee oder so?«, fragte sie, und dann fiel ihr Blick auf die Kaffeemaschine auf dem Küchentresen. Alter Kaffeesatz trübte das Glas.
Carters Blick folgte dem ihren.
»Ich koche natürlich frischen«, bot sie an.
»Keine Umstände, bitte. Ich muss jetzt los.« Er ging einen Schritt in Richtung Tür, doch Jenna war der Kaffee plötzlich immens wichtig. Und sie war es gründlich leid, dass sie jedes Mal, wenn er sie sah, die Rolle des Opfers spielte.
»Das ist das Mindeste, was ich tun kann.« Sie wusste, dass sie selbst zu aufgewühlt war, um schlafen zu können, und so spülte sie trotz seines Protests den Kaffeesatz von gestern in den Ausguss, wusch die Glaskanne ab und füllte frische Bohnen in die Kaffeemühle. Während das Mahlwerk kreischte, sagte sie: »Ich habe einen Thermobecher, den können Sie mitnehmen.«
»Wirklich, das ist nicht nötig.«
»Nein, aber es ist auch kein Bestechungsversuch, um mich und meine Tochter vor Schwierigkeiten zu bewahren«, gab sie zurück. »Wissen Sie, es ist schon komisch, aber jedes Mal, wenn ich Sie sehe – und das geschieht in letzter Zeit ziemlich häufig –, stecke ich irgendwie in Schwierigkeiten.«
»Hängt wohl damit zusammen, dass ich Bulle bin.«
»Ich weiß. Aber in den letzten paar Tagen kommt es mir so vor, als stünde ich, wann immer ich mich umdrehe, Ihnen gegenüber.«
»Ein Albtraum, wie?«
»Na ja. Irgendwie schon.« Sie warf ihm über die Schulter einen Blick zu und sah ihn wahrhaftig lächeln, ein Aufblitzen weißer Zähne unter seinem dunklen Schnauzbart, ein Riss in seiner ernsten Fassade. Wenn er lächelte, sah er gut aus auf die herbe, urwüchsige Weise eines Mannes, der viel im Freien arbeitete. Früher hatte sie dieser Männertyp nie sonderlich beeindruckt. Doch jetzt, als sie die Krähenfüße an seinen Augen und den dunklen Bartschatten sah, der sein Macho-Image noch betonte, fiel ihr auf, wie attraktiv er war. Das war doch lächerlich. Es war vier Uhr morgens, um Himmels willen. Er hatte sich die letzten paar Stunden mit ihrer Tochter, der jugendlichen Straftäterin, herumgeschlagen, obwohl er doch so viel Wichtigeres zu tun hatte. Trotzdem fiel ihr ausgerechnet in dieser Nacht auf, wie seine Jeans und sein Parka saßen.
»Schlafmangel«, murmelte sie vor sich hin, goss Wasser in die Kaffeemaschine und schaltete sie ein.
»Wie bitte?«
»Nichts.«
Mit dem Aroma des brühenden Kaffees schien sich die Küche zu erwärmen.
»Haben Sie Kinder?«, fragte sie, obwohl sie nach dem, was man in der Stadt über ihn hörte, längst vermutete, dass er keine hatte.
»Nein.« Er lehnte sich an den Schrank, und sein Blick wanderte von Jenna zum Fenster über der Spüle, in dessen Winkeln sich Schnee angesammelt hatte.
»Sie sind ein Segen … manchmal aber auch …«
»Ein Fluch?«
»Na ja, sagen wir lieber: eine Plage«, gestand sie ein und wischte den Tresen mit einem Küchentuch ab.
»Aber sie sind es wert?«
»Unbedingt. Das eine wiegt das andere auf.« Sie öffnete einen Schrank und fand den Thermobecher, den sie suchte, in einem Fach hoch außerhalb ihrer Reichweite. Sie lehnte sich an den Tresen, reckte sich auf die Zehenspitzen, doch ihre Finger streiften nur knapp den Boden des Fachs. Hochzuspringen kam nicht
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