Sanfter Mond über Usambara
ablehne, Du weißt, warum.
Was das beiliegende Schreiben anbelangt, so wurde es vor zwei Tagen von einem Boten in die Villa gebracht, und es bedurfte einiger Überredungskunst, um glaubhaft zu machen, dass ich erstens der Ehemann der Charlotte Johanssen bin und zweitens gewillt, ihr den Umschlag so bald wie möglich auszuhändigen. Was mit dieser Post nun geschieht.
Ich werde wohl noch eine Weile von Dir träumen müssen, denn ich fürchte, dass bisher kein Verwalter Deinem kritischen Blick standhalten konnte. Lass Dir nur Zeit, mein Liebes, und löse diese Aufgabe so, dass Du mit Dir zufrieden sein kannst. Wenn Du dann wieder bei uns bist, wirst Du eine großartige Photographie-Ausstellung in unserem Wohnzimmer vorfinden– ich habe alle Deine Bilder entwickelt und werde die Künstlerin um Erlaubnis bitten, einige ihrer Werke für mein nächstes Buch zu verwenden.
Sofern Du ein wenig Zeit erübrigen kannst– schreibe uns. Elisabeth sendet Dir viele tausend Grüße und Küsse, einen Teil davon darfst Du an Klara, Sammi und Peter Siegel weitergeben. Der Schreiber dieser Zeilen weigert sich, solche Zärtlichkeiten auf postalischem Wege auszusenden, er wird sie alle aufheben, um sie Dir mündlich zu übermitteln, sobald Du wieder bei uns bist.
George
Sie musste sich zusammennehmen, um die Tränen zu unterdrücken, die ihr in die Augen steigen wollten. Ach, weshalb hatte sie sich nur diese Plantage ans Bein gebunden? Weshalb konnte sie jetzt nicht einfach hinunter nach Mombo reiten, in die Usambara-Bahn steigen und zu George und Elisabeth fahren?
» Weißt du, Charlotte… « , sagte Peter Siegel und räusperte sich. » Es geht mir jetzt viel besser– wenn du Heimweh nach deiner Familie hast, dann könnte auch ich die Leitung der Plantage übernehmen. Gott wird mich leiten und mir beistehen, diese Aufgabe in der rechten Weise zu erfüllen. Zumindest solange sich kein passender Verwalter gefunden hat… «
Sie war gerührt. Er hatte ihr den Kummer also angesehen und wollte ihr helfen. Peter Siegel mochte ein schwieriger, in sich zerrissener Mensch sein, aber er hatte einen guten Kern.
» Das ist lieb von dir, Peter « , sagte sie lächelnd und fasste seine Hand. » Aber ich bin mir sicher, dass wir sehr bald jemanden finden werden. «
Peter Siegel als Leiter der Plantage– das war einfach nicht auszudenken. Lieber blieb sie noch ein paar Wochen, auch wenn es ihr schwerfiel. Entschlossen legte sie Georges Manuskripte zur Seite, um sie am Abend in aller Ruhe durchzuarbeiten, und nahm sich den verschlossenen Umschlag vor. Der Absender war ein gewisser Dr. Walther Niebauer, Rechtsanwalt und Notar in Daressalam, ein Mann, von dem sie noch nie zuvor gehört hatte. Ein Brief kam zum Vorschein, dazu ein weiterer Umschlag, auf dem ihr Name geschrieben stand. Sie erkannte Kamal Singhs Handschrift, und eine böse Vorahnung überkam sie, dass etwas Schlimmes geschehen war. In dem Umschlag fanden sich eine kolorierte Zeichnung und eine kurze Zeitungsnotiz, die schon ziemlich alt sein musste, denn das Papier war fast braun. Kopfschüttelnd besah sie sich die Zeichnung– es handelte sich um die Abbildung einer schwarzhaarigen, jungen Frau in einem altmodischen hellblauen Rüschenkleid. Sie trug das Haar streng zurückgebunden, ihre Augen waren hellbraun, der Mund sehr weich und kindlich. Charlotte versuchte gar nicht erst, den verblassten Zeitungsartikel zu entziffern, sondern wandte sich gleich dem Schreiben zu.
Sehr geehrte Frau Charlotte Johanssen,
in meiner Eigenschaft als Notar teile ich Ihnen mit, dass die Testamentseröffnung des verblichenen Kamal Singh am Mittwoch, dem 5.Mai um 2Uhr nachmittags in seinem Haus in Tanga erfolgen wird.
In der Anlage erhalten Sie einen verschlossenen Umschlag, den der Verstorbene vor seiner Abreise nach Indien bei mir hinterlegt hat. Er bat mich, ihn im Falle seines Todes noch vor der Testamentseröffnung an Sie auszuhändigen.
Mit freundlichem Gruß
Dr. Walther Niebauer
Rechtsanwalt und Notar
Berlin– Daressalam
Kamal Singh war tot! Das rätselhafte Schreiben im Januar war die letzte Nachricht gewesen, die sie von ihm erhalten hatte. Ganz unerwartet liefen ihr nun doch die Tränen über die Wangen. Er war ein seltsam unbegreiflicher Mensch gewesen, doch ganz offensichtlich hatte er aus irgendeinem Grund an ihr gehangen. Ach, er würde ihr fehlen, jetzt bereute sie, die vielen Briefe, die er ihr während der vergangenen Monate geschrieben hatte, nur oberflächlich beantwortet
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