Sanfter Mond über Usambara
dem sie für Peter Jacke und Hose nähen konnte. Charlotte hatte eine wunderschöne Tischdecke aus Damast erhalten, die mit weißer Spitze umrandet war. Peter war sogleich der Ansicht gewesen, sie gehöre nicht in ein Wohnzimmer, sondern auf einen Altar.
Der Abschied war überaus herzlich, man umarmte sich, und die Krügers kündigten einen baldigen Gegenbesuch an. Auch Elisabeth konnte sich nur schwer von ihrem Spielkameraden trennen. Als sie später über die Fahrstraße rumpelten, gerieten sie in einen verspäteten Regenguss und waren froh, unter der gewachsten Zeltplane zu sitzen, welche den Wagen überspannte. Der arme Simba, der neben ihnen herlief, wurde klatschnass, und auch Johannes Kigobo, der vorn auf dem Kutschbock hockte und die Maultiere lenkte, erging es nicht besser. Doch er machte sich nichts daraus, sondern sang laut eines der Kirchenlieder, die er auf Hohenfriedeberg gelernt hatte. Peter Siegel stimmte mit ein, und auch Elisabeth trällerte fröhlich mit. Charlotte dagegen hatte wenig Lust, sich an der musikalischen Darbietung zu beteiligen. Sie saß eingeklemmt zwischen Kinderbett und Stoffballen und glaubte, jeden Stein und jede Unebenheit des Weges zu spüren. Noch beim gemeinsamen Frühstück auf der überdachten Terrasse hatte sie fröhlich von Sammi erzählt, der eine große Leidenschaft für die kleine Ontulwe entdeckt hatte und den ganzen Tag über Hand in Hand mit ihr herumlief. Jetzt aber, da man gen Neu-Kronau fuhr und der Regen auf das gewachste Tuch prasselte, verflog ihre heitere Stimmung, und sie spürte, wie sie erneut von dunkler Traurigkeit übermannt wurde. Charlotte lehnte den Kopf gegen den Tuchballen und schloss die Augen, damit die anderen glaubten, sie wolle schlafen. Sie wollte die anderen nicht mit ihrem Kummer belasten, schon gar nicht Elisabeth, die so häufig nach George fragte und der sie immer wieder erzählte, George sei mitten im Urwald unterwegs, dort, wo es keine Poststellen gab. Seit seinem Schreiben im September hatte sie keine Nachricht mehr von ihm erhalten. Gewiss, die Regenzeit hatte die Wege im Usambara-Gebirge unpassierbar gemacht, aber hin und wieder wurde selbst dann Post ausgetragen. Jetzt war es schon Mitte Januar, die Landschaft barst geradezu vor Fruchtbarkeit, Blüten in allen Farben bedeckten die Wiesen, und der Briefträger war schon zweimal in Neu-Kronau gewesen. Von George kam allerdings keine Nachricht. Lag es daran, dass er seine Post immer noch nach Hohenfriedeberg versandte? Aber die beiden Briefe, die sie bereits von ihm erhalten hatte, waren doch auch angekommen!
» Mama, schläfst du? «
Sie gab ein leises Ächzen von sich, als habe Elisabeth sie in tiefem Schlummer gestört, und die Kleine wandte sich ab, um die Mama in Ruhe schlafen zu lassen. Es war feige, dieses Theater zu spielen, normalerweise tat Charlotte so etwas nie, sie bewahrte sich ihren Kummer für die Nacht auf und versuchte tagsüber, allen gerecht zu werden.
Eine böse Vorahnung beschlich sie. Vielleicht lag es daran, dass sie auf einem schwankenden Gefährt einen aufgeweichten, unsicheren Weg befuhren? Oder daran, dass seine Handschrift so merkwürdig fahrig gewesen war? Die Gegend, in der er sich befand, war frei von Malaria, eine gesunde Landschaft, ähnlich dem Usambara-Gebirge– hatte er das nicht selbst geschrieben? Ach, ihr Ärger über diesen letzten Brief war schon lange verflogen, sie hatte alle seine Manuskripte mehrfach gelesen und sogar schon Bemerkungen und kleine Korrekturen eingefügt. Wenn sie nur Nachricht von ihm hätte, nur einen winzigen Brief, so kurz er auch sein mochte, ein paar Zeilen! Ein Lebenszeichen. Alles in ihr sagte ihr, dass er in Gefahr war.
» Mama, wach auf, du Schlafmütze! Wir sind gleich da. Martha Mukea kommt schon gelaufen, um das Gatter aufzumachen. «
Charlotte hob die Plane an und blinzelte in ein Feuerwerk sonnenbeschienener Wassertröpfchen, die von einem großen Farnbüschel perlten. Der Himmel hatte sich aufgeklart, zarte Nebel stiegen aus den Tälern in die Höhe, über ihr in den Zweigen der Akazien turnten die grauen Meerkatzen.
Martha Mukeas nackte Füße waren rot verschmiert vom Matsch, sie raffte das Kleid mit einer Hand, damit es nicht schmutzig wurde, und kämpfte beharrlich mit dem widerspenstigen Gatter. Gras und allerlei Buschwerk wucherten so heftig, dass man des Wildwuchses kaum mehr Herr wurde, auch der braune Stein, den Karl Manger hatte aufstellen lassen, war längst von Pflanzen verdeckt, die
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