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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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irgendwelche Menschenfresser aus der Untersuchungshaft gebracht – die mussten sie dann abkratzen.
    Sascha irritierte diese Fröhlichkeit, dann überlegte er: »Wahrscheinlich ist es sogar besser so. Was denn, hätte man mit hängendem Kopf durch die Gegend gehen sollen?«
    Matwej gefiel es offensichtlich, wie Negativ im Gespräch reagierte, und Negativ selbst gefiel ihm auch.
    Negativs Wirkung auf Jana – die konnte Sascha nicht einschätzen. Plötzlich wurde ihm klar, dass ihr überhaupt alles gleichgültig war, und ihr niemand besonders leid tat. »Wahrscheinlich ist es sogar besser so«, wiederholte er noch einmal. »Wirklich, so war es sogar besser. Sie ist ja keine barmherzige Schwester … Könnte es sein, dass sie mit Matwej schläft?«, überlegte Sascha. Doch der Gedanke war sonderbar entfernt, seelenlos. »Ob sie mit ihm schläft, oder nicht – mir ist das egal, ich möchte sie einfach nur sehen. Manchmal über ihre feinen Finger streichen … Nein, oft.«
    Das Café war fast leer, ein Mann saß mit dem Rücken zum Ausgang. Matwej schaute aufmerksam auf diesen Rücken und schien beruhigt.
    Er bestellte für alle Tee und Brötchen. Sie saßen da, aßen voller Appetit und Matwej erzählte davon, dass die »Sojusniki« in den verschiedensten Winkeln des Landes leben.
    Die Parteileute hatten sich überall festgesetzt und vermehrten sich überall wie Bakterien – in der Taiga, in der Tundra, in der Steppe … Es gab schlitzäugige »Sojusniki«, es gab dunkelhäutige, Tschetschenen, Juden.
    »Unser neuer Pressesekretär der Partei ist – Jude, Jascha«, sagte Matwej. »Er wird ständig von seiner Mutter angerufen – sie sagt etwas, er antwortet« – und dann imitierte Matwej recht blumig die jüdische Redeweise: »Mama, also was soll ich denn für ein Jude sein? Wenn ich Jude wäre – würde ich dann hier sitzen?«
    … Unter den »Sojusniki« gab es erstaunliche Gestalten wie etwa einen Kapitän der Hochseeschifffahrt, ehemalige Krischnaiten, Wiederholungstäter, und sogar ein »Kosmonaut« war darunter.
    Sascha fragte nach Kostenko, wie sein Fall sich entwickelte, und Matwej erzählte, der Führer sei böse, schreibe böse Briefe, aber er zerbreche nicht, er kommandiere dort alle in der Zelle, in der er einsitzt, er habe sich gleich durchgesetzt, er würde im Gefängnis respektiert … »Nachrichten kommen nicht nur vom Führer«, sagte Matwej, »auch die Kriminellen verhalten sich ihm gegenüber anständig …«
    Sascha dachte manchmal an Kostenko, versuchte diesen merkwürdigen, aggressiven und sehr klugen Mann zu verstehen.
    Kostenko – Sascha hatte das schon vor Langem bemerkt – hatte das Wort »großartig« sehr gern, wie auch das Wort »ungeheuerlich«. Er verwendet sie oft. Als würde er mit saftigen Farben malen. Die Welt wird bewohnt von großartigen Menschen oder von ungeheuerlichem Gesocks. Diese ungeheuerliche Politik müsse von einem großartigen, farbenprächtigen Staat abgelöst werden, der frei und stark ist.
    Er geniert sich nicht, so einfach zu sprechen – denn wie niemand anderer versteht er es auch, kompliziert zu sprechen: wenn es notwendig ist.
    Kostenko hatte ein gutes Dutzend hervorragender, ausgezeichneter Bücher geschrieben – sie wurden übersetzt und gelesen, in Europa, aber auch in Amerika, der Subcomandante Marcos bezog sich auf sie; sicher, die beiden Männer, die auf verschiedenen Seiten des Atlantiks revolutionäre Auf- und Abtriebe veranstaltet hatten, waren nie zusammengetroffen.
    … Also, trotz dieses ganzen exquisiten kulturellen Gepäcks, das alle, selbst die Feinde anerkannten, mit Ausnahme völliger Idioten, ungeachtet seines Wissens und seines riesigen Wortschatzes, hatte Kostenko einen Neigung zu grellen und einfachen Wörtern, die sofort klarmachten, worum es ging.
    Und er selbst, sein Charakter – dachte Sascha über Kostenko –, sie verbargen sich irgendwo zwischen diesen beiden Bestimmungen – »großartig« und »ungeheuerlich«. Ein großartiger Mensch imstande zu ungeheuerlichen Taten. Ja, so war es … Kostenkos großartige Unverschämtheit und seine ungeheuerliche Schaffenskraft. Klar, hier war das Wort »ungeheuerlich« schon im übertragenen Sinn gemeint … Aber es passt.
    Und Sascha erinnerte sich plötzlich, wie erstaunt er gewesen war, als er nach Kostenkos aggressiven Büchern, die manchmal extravagant, manchmal unanständig aggressiv waren, in der Bibliothek eines Tages plötzlich auf Kostenkos Gedichte stieß –

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