Santa Clause - Eine Unglaubliche Geschichte
ungläubig und fühlte sich plötzlich zutiefst gekränkt.
»Pardon!« Dooley sah ihn geistesabwesend an.
»Wie lautete die zweite Strophe?« fragte Claus mit bebender Stimme.
Dooley sah auf das Blatt hinunter und zitierte ahnungslos: »Er hat dicke Backen . . .«
»Dick? Dicke Backen?« schnaubte Claus, und sein Gesicht färbte sich rot vor Entrüstung. Er wandte sich stirnrunzelnd an Anya. »Habe ich so dicke Backen?«
Anya blickte zu Boden und zupfte verlegen an dem Saum ihrer Schürze. »Nun . . . das liegt an deinem Knochenbau, Liebling.« Sie sah ihn an, und weil ihr die Sache so peinlich war, wurde sie ganz rot im Gesicht.
Mit finsterem Blick wandte sich Claus wieder Dooley zu. »Ja, ja, nun lies schon weiter«, sagte er. »Und einen Bauch voller Schnee«, fuhr Dooley mit kaum noch hörbarer Stimme fort, als auch er begriff, was für eine schreckliche Panne ihm da passiert war.
Santas Gesicht war inzwischen rot geworden wie seine Lieblingsjacke. Anya sah ihn besorgt an, weil sie fürchtete, jeden Moment könnte ihm der Dampf aus den Ohren kommen. »Lies weiter«, sagte Claus mit zusammengebissenen Zähnen.
Dooley räusperte sich und wünschte sich sehnlichst, daß sich jetzt der Boden unter ihm öffnen und ihn verschlucken möge. »Und fängt er an zu lachen, schwabbelt er wie eine Schüssel voll . . .«
»Himbeergelee«, schloß Claus grimmig.
Dooley sah zu ihm hoch, den Rücken gekrümmt vor unsäglichem Kummer. »Es ... ist . . . nur ... ein Gedicht . . .«, stammelte er.
»Sie glauben, daß ich so aussehe, wie?« fragte Claus mürrisch. Er hatte ihm gar nicht zugehört, stemmte die Hände in die Hüften und drehte sich wieder Anya zu.
Anya bewegte hilflos die Hände in der Luft. »Nun . . . du weißt«, murmelte sie unglücklich, »die Plätzchen . . .«
Claus drehte sich um und stakte wortlos durch den Kreis der verlegenen Elfen, um die kläglichen Reste seiner Würde zu retten.
Am Abend, als sie unter sich waren in ihrer Küche, setzte sich Claus zu seinem Weihnachtsessen an den Tische, das nur aus vier Karotten, zwei Selleriestangen und einer Olive bestand. Er starrte fast so lange auf seinen Teller, wie er früher sein gewöhnlich aus vier Gängen bestehendes Festmahl betrachtet hatte. Anya stand stumm am Herd und dachte traurig, daß sie ihren Mann noch nie so grimmig erlebt habe. War dieses Elend wirklich nötig? wunderte sie sich. Sie würde ihn auch noch lieben, wenn er doppelt so dick gewesen wäre — und das galt auch für die Kinder draußen in der Welt, die nach wie vor an ihrem Santa Claus hingen. Sie seufzte und schüttelte den Kopf.
Endlich nahm Claus eine Karotte vom Teller und mampfte sie so laut wie die Rentiere unten im Stall, die gerade ihr magisches Futter für den Nachtflug verzehrten.
Als Santa Claus an diesem Abend in die Welt hinausflog, kam er sich vor wie ein Muster an Enthaltsamkeit und Willenskraft. Er schwor sich, daß er in dieser Nacht nicht ein einziges Plätzchen essen würde. Und im nächsten Jahr war er dann wieder so schlank und rank, daß die Elfen und Menschen ihn kaum wiedererkennen würden.
Er hielt sein Versprechen, bis er auf dem ersten Hausdach landete, durch den ersten Kamin schlüpfte und den ersten Teller mit Weihnachtsgebäck auf dem Kaminsims entdeckte, mit einem Pappschild daneben, auf das ein Kind mit ungelenker Schrift geschrieben hatte:
FÜR SANTA CLAUS.
Santa kam vom Christbaum zum Kamin zurück, mit niedergeschlagenen Augen, damit er das leckere Gebäck nicht sah. Er schüttelte den Kopf, wich wieder bis zum Baum zurück und schielte über die Schulter auf den Teller. Und dann, von einem Moment zum anderen, brach seine Willenskraft zusammen. Er nahm die Plätzchen vom Teller — alle auf einmal —, stopfte sie in den Mund und kaute und schluckte wie ein verhungernder Mensch. Den Mund voller Plätzchen, kehrte er durch den Kamin auf das Dach zurück, kletterte in seinen Schlitten und gab das Zeichen zur Abfahrt.
Als er den letzten Lebkuchenkrümel hinuntergeschluckt hatte, lächelte er zufrieden bei dem Gedanken, wie sehr das Kind sich freuen würde, wenn es wüßte, daß seine Plätzchen Santa Claus so gut geschmeckt hatten wie keine anderen bisher . . . »Hört, Jungs«, verteidigte er sich vor seinen Rentieren (die ihm vorwurfsvolle Blicke über die Schultern zuwarfen), »ihr müßt es so betrachten, wie es ist. Mag sein, daß es auch unter den mageren, schwindsüchtig aussehenden Menschen ganz nette Leute gibt. Aber . . .«Er
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