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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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ein paar Meter – bis die anderen außer Hörweite sind. »In Trier … besuchen Sie doch bitte unbedingt die Kapelle der heiligen Platine«, flüstert sie mir zu und sieht mir dabei tief in
die Augen, als möchte sie mir das »unbedingt« mit neun-Zoll-Nägeln im Hirn festtackern. »Da war so viel Liebe , verstehen Sie?« Offenbar soll ich mal gucken, ob es mir da nicht genauso geht. Es scheint ihr ein wenig unangenehm, mir Details zu eröffnen, also bohre ich nicht weiter nach. Dafür habe ich jetzt das Gefühl, vom Jakobsweg persönlich eine Hausaufgabe ins Heft geschrieben bekommen zu haben.
    Im Prümer Gemeindebüro bekomme ich einen Stempel, auf dem nichts weniger als ein doppelköpfiger gekrönter Adler zu sehen ist – ganz schön selbstbewusstes Wappen für einen Ort, der kaum größer ist als Hagen. Nachdem ich meinen Pass wieder eingepackt habe, darf ich mich noch in ein leicht abgegriffenes, dünnes Buch eintragen, das offenbar jedem Pilger hier gereicht wird: Gefragt sind Name und Adresse, Start und Ziel – und ob man zu Fuß, mit dem Rad oder Pferd (!) unterwegs ist. Offenbar sind hier letztes Jahr fast 400 Pilger durchgekommen. Fast alle auf Schusters Rappen – die allermeisten aus Köln, aber auch in Kronenburg und hier in Prüm haben welche den ersten Schritt auf ihrem Weg getan. Meiner kleinen Pilgerseele schmeichelt ein wenig, dass dieses Jahr noch keiner so viele Kilometer auf dem Buckel hat wie ich. Der erste ist allerdings schon im Februar hier durchgekommen – Respekt! Rüdiger Nehberg vielleicht? Pferde scheinen auf dieser Strecke übrigens Mangelware zu sein. Anschließend schaue ich mir noch die Salvator-Basilika nebenan an. Ich bin neugierig geworden, weil sie trotz ihrer Jugend und ihres Standorts mitten im Garnichts die gekreuzten Schlüssel des Papstwappens tragen darf: Den Titel Basilica minor verleiht der Chefkatholik nur wirklich bedeutenden Gotteshäusern. Dass einem so eines ausgerechnet in der Eifel begegnet, hat seine Ursache natürlich in hoher Politik: Prüm beherbergt seit etwa 1.200 Jahren Stücke der Sandalen Jesu – ein ganz und
gar uneigennütziges Geschenk eines längst verstorbenen Benedikt-Vorgängers. O. K.: Der König der Franken, Pippin III., revanchierte sich dafür seinerzeit mit ein paar Ländereien, die letztlich Grundlage des Kirchenstaats wurden (für Nerds: Bei Wikipedia nachschlagen unter »Pippinsche Schenkung«). Weltgeschichte made in the Eifel ! Für Prüm war die Aktion – wie inzwischen auch für Rom – Tourismusförderung pur: Im Mittelalter gab es schließlich nur wenige Orte, die mit ähnlich bedeutenden Reliquien locken konnten. Damit geht dann auch das selbstbewusste Wappen in Ordnung. Leider ist der Schrein mit Jesu’ Sandalen heute verschlossen, aber als ich die Kirche betrete, habe ich ganz, ganz kurz den Eindruck, dass es nach Schweißfüßen riecht. Ich weiß, dass das unmöglich und wahrscheinlich auch blasphemisch ist, aber ich schwöre , dass es so war. Und wer weiß: Vielleicht lacht sich der Mann am Kreuz ja jetzt gerade über mich kaputt.
    Hinter Prüm sind die Höhenlinien auf meiner Karte so dicht wie Drähte in einem Teesieb – ich kann sie gar nicht mehr auseinanderhalten. Als ich endlich oben ankomme, bin ich so ausgepumpt wie schon lange nicht mehr. Ausgerechnet vor einem Schild mit der Beschriftung »Heldpfad« schnappe ich etwa eine halbe Stunde nach Luft. Danach geht es zum Glück ein gutes Stück zu halbwegs ebener Erde weiter, auf Feldwegen, an Löwenzahn-Wiesen und frisch gepflügten Äckern entlang. Nach ein paar Kilometern finde ich am Wegrand einen Steinquader, in den ein Kreis und ein griechisches »Pi« eingemeißelt sind.
    Einer Tafel entnehme ich, dass ich mich auf dem »Pi-Wanderweg« befinde, auf dem – von Prüm aus gemessen – alle 3,14 Kilometer so ein Ding liegt. Toll! Ein Kreuzweg für Mathematiker ! Der zweite Pi-Quader, dem ich über den Weg laufe, ist laut Hinweistafel
allerdings »Der Gegenwart eines Vogels« gewidmet. Der Gedanke hinter dieser Zueignung ist mir in etwa so zugänglich wie ein Sanskrit-Vers im Original – der Stein davor war noch »Dem Weitergehen« zugedacht. Damit konnte ich mehr anfangen, auch wenn ich vor Müdigkeit heute langsamer vorankomme als an einer Baumarkt-Kasse.

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