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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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sagt kein Wort.
    Auf dem Weg zurück zum Zeltplatz passiere ich ein italienisches Restaurant; meine Pilgerkollegen sind die einzigen Gäste. Sie sitzen in Kerzenlicht vor Rotweingläsern so groß wie Kinderbadewannen. Immerhin: Mein Rucksack ist da, wo ich ihn abgestellt habe. Mir fällt auf, dass die Holländer und ich die einzigen Gäste auf dem riesigen Gelände sind. Ich bedanke mich fürs Aufpassen, empfehle mich auf mein Grundstück, stopfe eine Styroporschale kalt gewordener Pommes und Chickenwings in mich hinein, baue mein Zelt auf – was diesmal auf Anhieb klappt –, gehe duschen und packe alles , was ich nicht die Nacht über am Körper tragen muss, ins Waschbecken und dann in einen der Trockner im Waschraum – Erfahrung macht klug! Zurück am Zelt fällt mir auf, dass meine schöne Buchenkrone verschwunden ist. Muss mir irgendwo vor Waxweiler vom Rucksack gerutscht sein. Schade, ich hätte sie gerne neben die Muschel ans Zelt gehängt. Aber sie wäre schließlich eh irgendwann verwelkt. Ich mag den Gedanken, dass Kronen verwelken können.

Morgens Bettelmönch, abends König
Donnerstag, 23. April – Waxweiler bis Neuerburg
    Ich taue auf. Mein Schlafsack hat komplett versagt, ich habe gefroren wie eine Tiefkühlpizza. Von wegen Komfortbereich Null bis Sieben Grad Celsius! Ich bin bestimmt tausendmal wach geworden und hatte die halbe Nacht über das Gefühl, Kühlspray einzuatmen. Erster Systemcheck: Leichter Druck auf den Ohren. Zweiter Check: O. K., könnte schlimmer sein – sieht so aus, als wäre ich um die fällige Grippe gerade nochmal herumgekommen. Ich strecke meinen Kopf aus dem Zelt: Es ist dunstig und kühl wie an einem kanadischen Bergsee im Oktober. Ich denke an den Pilgerbruder, der im Februar hier durchgekommen ist und mache mich erst einmal auf den Weg zum Sanitärgebäude.
    Auf die Erledigung ausgerechnet meines dringendsten Bedürfnisses muss ich dort leider verzichten: In unmittelbarer Nähe meines Zelts werfen Handwerker ja schon seit gefühlten vier Stunden ihre Werkzeuge gegen die Wand. Leider wuselt jetzt auch im Toilettenraum jemand auf den Fliesen herum. Um zu meinem Trockner zu gelangen, muss ich mich – steifgefroren, wie ich bin – mit der Eleganz eines indischen Tempeltänzers unter einer Leiter durchwinden. Dafür entnehme ich der Maschine einen Arm klammer Wäsche. Mist. Wenigstens ist das Zeug über Nacht nicht steif gefroren. Zurück am Zelt schüttele ich geduldig rund zwei Liter Wasser aus der Plane, dann gönne ich mir die Chips, die ich gestern nicht mehr runtergekriegt habe. In der Rezeption wartet der freundliche Holländer vom Telefon bereits auf mich. Wir quatschen ein wenig über das Wetter und
über meinen Rucksack, dann macht er die Abrechnung fertig. »19 Euro 65«, sagt er – in einem Tonfall, als würde er mir seinen Dackel schenken. Erst glaube ich, er meint vielleicht irgendjemanden, der hinter mir steht. Aber da rollt nicht mal ein Dornbusch vorbei. Dann fällt meine Kerntemperatur in etwa auf die Celsiusgrade, die heute Nacht in meinem Zelt geherrscht haben. Aufgrund meiner zugegebenermaßen beschränkten Erfahrungen mit anderen Zeltplätzen hatte ich mit höchstens einem Viertel des aufgerufenen Betrags gerechnet – für irgendwas muss die Friererei ja gut gewesen sein! »Ich habe hier nur gezeltet« , sage ich, »und nicht die Duschen abgefackelt«, möchte ich hinzufügen, lasse es aber, weil es mir erst Wochen später einfällt. Trotzdem geht mein Gegenüber in einen Nebenraum und kommt nach einer Weile mit einer dürren Frau zurück. Ihr Blick lässt mich erstarren wie eine Eidechse in der Antarktis. »Das war ein Caravan -Platz. Was sie da draufstellen, ist Ihre Sache«, sagt sie und überreicht mir meine Quittung wie einen Haftbefehl. »Macht 19 Euro für den Platz und 65 Cent Kurtaxe.« Kurz bevor mir die Aorta platzt, werfe ich das Geld auf den Tresen und verlasse den Laden, ohne die Tür hinter mir zuzuziehen. Das muss im Preis drin sein! »Das ist aber nicht meine Schuld!«, ruft mir der Holländer hinterher.
    Sehr viel mehr bekomme ich von Waxweiler nicht mit. Unter Sturzbächen von Adrenalin komme ich gaaanz zufällig am »Haus des Gastes« vorbei und mache meinem Ärger dort auf zugegebenermaßen etwas alttestamentarische Weise Luft. »Sie haben

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