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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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irgendwo auch mein Lebenslauf verzeichnet ist? Kurz nachdem ich einen Punkt hinter diesen seltsamen Gedanken gesetzt habe, grüßt mich ein freundlicher Bischof aus meinem Pass. Anschließend schaue ich mir die Willibrord-Basilika noch einmal etwas
ausführlicher an. Bis zum Gottesdienst scheint doch noch etwas Zeit zu sein – hoffentlich nicht, weil ich die Crew aufgehalten habe … Vor allem dem kaputten Jesus widme ich einige Minuten. Warum, weiß ich nicht. Irgendwann stehe ich unversehens vor dem Eingang zur Krypta. Unten entdecke ich eine kleine, völlig menschenleere Kapelle. Ich zünde eine Kerze an und bleibe eine Weile ohne tiefere Gedanken im Kopf stehen. Bevor ich – wieder oben – gänzlich ins Freie trete, besichtige ich noch einen Raum neben dem Hauptportal der Kirche. Und falle aus allen heiligen Wolken: Mein Gott, er ist voller Knochen! Aus den Fragmenten, die da mit bunten Schleifchen versehen und in edelsteinbesetzten Behältern aufbewahrt sind, könnte ein CSI-Fachmann locker ein halbes Skelett zusammensetzen. Wofür soll das bitte gut sein? Ich verlasse die Kirche und atme die gute, frische Luft da draußen ein. Nee, soo kriegen die mich dann doch nicht!

    Anschließend schlendere ich noch etwas durch die Stadt, um mir ein wenig von Echternachs Flair einzupacken: Komme vorbei an Dutzenden barocken, in warmen Pastelltönen gestrichenen Häuschen, aus denen jederzeit Leute in Puderperücken winken könnten, an Schaufenstern mit eigenartig fremdartigen Auslagen und an Cafés, in denen sehr relaxte Kellner gerade die Stühle rausstellen. Auf dem Markt gönne ich mir in einem davon eine Apfelschorle. Am Nachbartisch sitzt ein Mann, dessen Gesicht hinter einem Vollbart verschwindet wie ein altes Schloss hinter wildem Wein; leider hat er auch eine Sonnenbrille auf, die man wahrscheinlich operativ entfernen müsste, um ihm in die Augen zu schauen. Trotzdem kommt es zum üblichen Jakobsweg-Geplänkel: Woher, wohin, wie weit noch, warum das Ganze – der Typ ist sehr interessiert an meiner Sache. Und mir fällt plötzlich auf, dass ich schon lange niemandem mehr erklärt habe, wie ich heiße und was ich beruflich so mache – das alles hat längst seine Bedeutung verloren.
    Der Weg zurück nach Deutschland führt mich ein Stück an der Sauer entlang. An den Stellen, an denen der Fluss ganz ruhig fließt, ist er so klar wie die Luft darüber: Ich kann bis auf den Boden gucken. Hier und da scheinen aber Steine so dicht unter der Oberfläche zu liegen, dass die Strömung darüber turbulent wird. Dort wirkt das Wasser durch die vielen Wirbel undurchsichtig, obwohl es genauso schnell fließt wie davor. Mann, der Tag fängt gut an: Ich möchte auch so sein wie dieser Strom an seinen klaren Stellen! Schnell und beweglich, ungehindert im Fluss und völlig transparent! Aber irgendwie habe ich in den letzten Jahren so viele Steine in mein Wasser geworfen, dass ich mit der Zeit auch undurchsichtig geworden bin. Für andere, aber auch für mich selbst. Ich muss es irgendwie schaffen, diese Klötze aus dem Weg zu räumen! He:
Noch ein, zwei Erkenntnisse von dieser Sorte und ich kann mir auf der Stelle ein Hotel suchen. Ist das jetzt der Endspurt? Oder die Belohnung? O. K. – jetzt noch ein paar Meter über die Brücke, vorbei an einem ehemaligen Zollhäuschen, das aussieht, als würden hier alle vier Wochen Ehrendoktorwürden verliehen – und ich bin wieder in Deutschland. Die ersten beiden Häuser auf deutscher Seite sind in besonders grellen Farben gestrichen. Was für ein Kontrast zu dem pastelligen Understatement am anderen Ufer! Ein paar Meter weiter kann ich immerhin Kilometer Nummer vierhundert fotografieren. Noch vor wenigen Tagen – oder war es gestern ? – hatte ich noch bezweifelt, jemals hundert zusammenzukriegen.
    Irgendwie habe ich in den letzten Jahren so viele Steine in mein Wasser geworfen, dass ich mit der Zeit undurchsichtig geworden bin.
    Â»Sollen wir nicht das Foto machen?« Ich habe gerade mein Mini-Stativ für ein Selbstportrait etwas umständlich auf einer Hinweistafel befestigt, als mich zwei Wanderinnen ansprechen. Ich stehe in einem ehemaligen Weinberg, der schon seit 1709 nicht mehr in Betrieb ist. Alles ist zugewuchert, nur ab und an gibt’s einen Blick auf den Fluss, der sich unten langsam Richtung Südosten durchmäandert. Dafür

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