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Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
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hätte. Außerdem gefällt mir das Zimmer: Es wirkt auf mich – ehrlich. Schließlich ist das hier nicht Köln, sondern eine Trucker-Kneipe in der Pampa fast drei Kilometer neben einem winzigen Kaff in der Südeifel. Passt schon. Ich schlage meine Sachen ins Waschbecken – die Heizung läuft, also werde ich mein Zeug bis morgen trocken haben! Ab Morgen könnte ich von der Substanz leben …
    Dieser Abend wird also der letzte gewesen sein, an dem ich mir Gedanken über die wichtigste Sache der Welt machen muss: Wie ich meine Klamotten trocken kriege! Bleibt das Dinnerproblem: Ich habe schon wieder mehr Kilometer auf dem Tacho als geplant. Statt 13 sind es heute mal über 19. Aber 2.500
Meter zurück in die Stadt – und anschließend nochmal zu Fuß den Braveheart-Berg rauf: Das muss ich mir nicht ziehen. Muss ich aber auch gar nicht: Als ich in den luftalarmdunklen Schankraum trete, sitzen Bärbel und Inge schon bei einem Bier und winken mich heran. Wir stoßen auf den Tag an – und Inge berichtet, dass sie unsere Wirtin breitgeschlagen hat, uns zumindest ein Schinkenbrot zu schmieren und dies nach Bedarf sogar mit einem Spiegelei oder gar einem Schnitzel zu belegen. Kurz darauf haben wir drei ein köstliches Pilger-Dinner auf dem Tisch. Schon wieder ein Problem gelöst, das …
    Später, auf dem Weg ins Zimmer, packt mich eine samtene Müdigkeit im Nacken und tunkt mich kopfüber in einen tiefen, schwarzen Eimer. Ich habe den ganzen Abend geredet wie ein Wasserfall! Dabei hätte ich gedacht, dass ich das Bedürfnis zu sprechen nach all dem Schweigen der letzten Tage hinter mir gelassen hätte. Aber vielleicht ist es ja auch nur so, dass nach Tagen in der Stille des einsamsten Landstrichs Deutschlands jedes Wort wie zehn zählt. Wir haben vereinbart, morgen getrennt zu frühstücken. Bärbel und Inge wollen die Abkürzung zum Weg nehmen, der etwa einen Kilometer nordöstlich von hier verläuft. Ich dagegen möchte mir in Welschbillig erst einmal meinen vorletzten Stempel holen. Außerdem wollen die beiden früh raus. Mir ist das recht, denn ich möchte die Etappe morgen ohnehin unbedingt alleine gehen. Es ist schließlich meine letzte. Da will ich die vergangenen Wochen noch einmal Revue passieren lassen und in aller Ruhe einen Strich unter alles ziehen. Und nachgucken, wen ich darunter finde. Ich nehme mir vor, den Tag morgen so schweigend wie möglich zu verbringen.

… als ob jemand einen Eimer voller Glück umwirft
Montag, 27. April – Welschbillig bis Trier
    Das ist also mein letzter Morgen auf dem Weg. Ich horche in mich hinein wie in ein altes Auto, das man gerade aus der Werkstatt geholt hat. Läuft alles rund? Alle Ersatzteile am Platz? Betriebsflüssigkeiten O. K.? Aber alles ist genau so, wie es sein sollte. Sogar besser: Beine leicht wie Kohlefaserstangen, Füße aufgeweckt wie zwei Hunde vor dem Gassigehen, Geist ausgeleuchtet wie ein Heliumballon mit 1.000-Watt-Birne drin. Und draußen? Ich ziehe den Vorhang zur Seite wie andere ein Geschenk aufmachen. O. K. – das müssen wir noch üben: Der Himmel ist steingrau, die Wolken hängen tief wie eine UFO-Flotte vor der Landung. Egal – heute Abend werde ich in meinem Santiago sein!
    Ich dusche und sehe zu, dass ich mich von dem Vorhang vor der Toilette so wenig wie möglich liebkosen lasse. Packe meinen Rucksack ein letztes Mal, was inzwischen etwa so ist wie einen Hund beiläufig hinter den Ohren zu kraulen. Dann, endlich! Los! Welschbillig fliegt mir förmlich entgegen! Schon nach wenigen Minuten passiere ich ein Schild, auf dem an die Verleihung der Stadtrechte vor 718 Jahren erinnert wird – toll, ich kenne zehnmal größere Orte, die nicht einmal halb so alt sind! Außerdem scheint in dieser Gegend vieles schon Stadt zu sein, was bei mir zu Hause gerade Mal als Schrebergartenkolonie durchgehen würde. Aber dass auf dem Jakobsweg sicher geglaubte Erkenntnisse reihenweise über Bord gehen, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Kurz hinter dem Ortsschild darf ich dann auch
mein schönes, kleines Schweigegelübde schnell und unauffällig dahin zurückpacken, wo ich es gestern Abend hergenommen habe: Die beiden Pilgerinnen, die mir kurz hinter Minden aufgefallen waren, kommen mir entgegen! Schon wieder ein Problem, das sich von selbst gelöst hat, denke ich, dann texte ich die beiden auch

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