Santiago liegt gleich um die Ecke
Pause, dann bin ich dran mit überholen; manchmal gehen wir nebeneinander her, manchmal nicht. Wir reden, wenn wir Lust dazu haben, ansonsten lassen wir es bleiben! So kann man das machen! So habe ich beides: anregende Begleitung und die Ruhe, die ich brauche. In den Quasselphasen tauschen wir Wanderertipps aus; so erfahre ich etwa, dass Rucksackschleppen auch mit Bandscheibenvorfällen ganz gut geht, wenn man die Teile richtig verschnallt. Und dass Wollsocken das Beste sind, was einem passieren kann, während man das ganze Kunstfaserzeug ganz schnell vergessen sollte â die beiden haben alles probiert. Stimmt: Meine Teflon-FuÃtüten haben gegen Blasen ungefähr so gut geholfen wie eine Flasche Southern Comfort gegen Kopfschmerzen. Am frühen Nachmittag zeigt die Strecke leider, dass sie auch eine fiese Seite hat. Die Sonne knallt, aber es gibt hier oben so gut wie keinen Schatten. Meine erste gröÃere Pause mache ich schlieÃlich unter einer LandstraÃen-Unterführung, um eine Weile aus der UV-Dusche zu kommen. Mittlerweile habe ich zu allem Unglück herausgefunden, dass das einzige Hotel in Welschbillig geschlossen hat. Und zwar nicht nur heute, sondern für immer. Im Pilgerführer ist noch eine Möglichkeit verzeichnet, aber der Typ, der da abhebt, nannte mir gefühlte 20 Gründe, die aus seiner Sicht dagegen sprechen, dass ich mich bei ihm einquartiere : zu weit auÃerhalb des Ortes, eine Baustelle und werweiÃwasnoch. Seltsam. Bei einer Pension etwa 2,5 Kilometer auÃerhalb Welschbilligs habe ich endlich Erfolg. Der Haken: Der Laden hat eigentlich Ruhetag. Es gibt also nichts zu essen. Bärbel und Inge schlieÃen sich mir trotzdem an.
Ich möchte in aller Ruhe einen Strich unter alles ziehen und nachsehen, wen ich darunter finde.
Unser Tagesziel ist eine Mischung aus Ritterfilm- und Western-Kulisse. Ersteres, weil vor der Kirche die Ruine einer alten Burganlage steht; letzteres, weil es nicht nur für einen April unglaublich heià ist â und weit und breit so wenig Menschen zu sehen sind wie um zwölf Uhr Mittags in einem kalifornischen Goldgräbernest, kurz bevor Henry Fonda jemanden über den Haufen schieÃt. Die Touristeninformation hat natürlich zu. Das Pfarrbüro erst recht. Gegenüber der Ruine ist zwar eine Kneipe, aber jetzt ist es zum Essen noch zu früh, auÃerdem hat sich da eine geschlossene Gesellschaft eingenistet. Wir beschlieÃen also, erstmal den kürzesten Weg zu unserer Pension einzuschlagen und dann weiterzusehen. Das bedeutet dummerweise, einer schnurgeraden LandstraÃe zu folgen, die sich ohne Andeutung eines Bürgersteigs oder auch nur eines Seitenstreifens einen hübschen, aber anstrengenden Hügel hinauf empfiehlt. Zum Glück ist nicht viel Verkehr. Das nahende Ziel vor Augen, renne ich den Berg hinauf wie Mel Gibson in Braveheart â mit einem immer längeren Gesicht: Natürlich liegt die Pension genau auf dem Gipfel des Bergs. Egal: Unsere Wirtin entpuppt sich als bemerkenswert stabile Frau, die uns ohne Federlesens sofort unsere Zimmer zeigt. Den Grund habe ich drauÃen schon bemerkt: Im Garten vor dem Haus wird gegrillt, ein paar Leute sitzen schon herum und lecken sich die Lippen, gut gefüllte Biergläser in der Hand.
Mein Zimmer ist ein schriller Traum mit hellbeigem PVC-FuÃboden, rosa Blümchentischdecke und oranger 70er-Jahre-Bettwäsche. Aber nicht ohne Luxus in Form einer Toilette und einer Dusche auf dem Zimmer. Paris Hilton hätte trotzdem keine Freude dran: Die Toilette ist vom Rest des Raums gerade mal durch einen Vorhang abgetrennt. Wenn ich mich bewege, streift er Stellen meines Körpers, die der Liebe Gott uns Menschen nicht umsonst in Hosen verstecken lässt. Ich hoffe, dass meine Vorgänger sich dieses Problems auch auf so reife, durchdachte und hygienische Weise gestellt haben wie ich.
Auch das Bett ist etwas abschüssig. Kein Wunder: Statt auf stabilen Beinen ruht es auf zwei lässig angeschraubten Pressholz-Paneelen, von denen eines verdächtig schräg steht. Als ich mich aufrichte, bricht es prompt weg â und ich habe alle Mühe, es anschlieÃend wieder in eine vom Konstrukteur halbwegs intendierte Lage zu bekommen. Aber nach einem derart heiÃen Tag bin ich so froh, endlich irgendwo angekommen zu sein, dass ich auch gefeiert hätte, wenn meine Wirtin mich in einem rostigen Eimer einen alten Brunnen herabgelassen
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