Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
Vom Netzwerk:
Teppich.
Die Frau an der Rezeption, eine junge, aufgeweckte Mittzwanzigerin mit Kurzhaarfrisur und Brille, blickt zwischen mir und einem Bildschirm hin und her. Ich halte mich an meinem Wanderstab fest, um nicht umzufallen. »Normalerweise ist telefonische Anmeldung ja besser, aber jetzt stehen Sie nun mal vor mir …« »Was kostet das denn?«, frage ich. Die Frau lächelt mir zu. Jetzt nehme ich meinen Hut doch ab und weiß nicht, was ich sagen soll. Ich lächle einfach zurück.
    Das Hotel ist so übersichtlich wie ein altes Bergwerk. Lange Flure, diverse Treppen. Meine – sagen wir: Kammer – ist winzig wie ein Baukran-Kommando-stand, aber sehr adrett. Ein Fenster gibt es nicht. Aber eine Heizung, auf der ich meine Sachen trocknen kann! Ich klettere auf die Matratze und versinke darin wie ein rohes Ei in einem schwarzen Tümpel. Gegen sieben Uhr abends weckt mich mein Magen. Ich raffe mich auf; irgendwo in dem Stollensystem finde ich einen Aushang mit dem Menü für heute Abend: Rotbarschfilet an Basmatireis und Blattspinat. Mist – warum habe ich mir im Wildgehege vorhin kein Reh mitgenommen! Ich will einen Grillteller! Blöderweise regnet es draußen inzwischen in Strömen. Ich gehe zur Rezeption, lasse mir dort etwas resigniert einen Hotelstempel in den Pilgerpass drücken, den Weg zum Rotbarschfilet beschreiben – und verlaufe mich. Irgendwann öffne ich eine schwere Tür, hinter der es verdächtig nach Essen riecht – und lande mitten in einem griechischen Grill. Wie in einem dieser Filme, wo man durch einen Kleiderschrank in ein anderes Leben geht … Es duftet nach Fritten und Gyros! An den Nachbartischen sitzen Leute an winzigen Tischen, die sich unter Fastfood und gut gefüllten Biergläsern biegen. Zum zweiten Mal an diesem Tag bin ich im Himmelreich. Danke, Jakobsweg!

Das verdammte Zen des Wanderns
Gründonnerstag, 9. April 2009 – Gevelsberg bis Remscheid
    Ich habe in einem Wäschetrockner übernachtet. Damit meine Klamotten trocknen, habe ich die Heizung auf Volllast laufen lassen … Trotzdem springe ich aus dem Bett wie ein Schalke-Fan bei einem 1:0 gegen München aus dem Sofa und merke erst nach ein paar Minuten, was das für eine Sensation ist: Ich stehe ! Hätte mir gestern Abend jemand gesagt, dass ich meine Füße heute zu etwas anderem gebrauchen könnte als zum Drüber-Jammern, man hätte mich bis Hammerfest lachen hören. Drunter gucke ich trotzdem lieber nicht. Dafür verlaufe ich mich auf dem Weg zum Frühstücksraum schon wieder. An den Flurwänden fallen mir nämlich ein paar alte Seiten der Gevelsberger Zeitung auf, die hier früher produziert wurde. Tatsache: Wenn man ganz leise ist, meint man das Tickern der Setzmaschinen und das Gemurmel der Redakteure noch zu hören. Vor meinem inneren Auge huschen Leute mit Ärmelschonern, Papierstapeln und Schwarzweißfotos vorbei. Ich bewege mich ganz langsam, um keinen zu stören.
    Im Frühstücksraum sitze ich mit ausgebeulter Out-doorhose und faltigem Hemd aus einem unauffällig gemusterten, grauen »Ich-trockne-schnell«-Stoff eine Weile nur herum und beobachte die Anzugträger an den anderen Tischen, die sich im Geiste auf ihre Termine vorbereiten. Bis Wuppertal-Beyenburg, meinem Tagesziel, liegen gerade mal 15 Kilometer vor mir – genug Zeit, sich ein Nachrichtenmagazin zu greifen. So ziehe ich mir zwischen Rührei, Brötchen und dünnem Hotelkaffee einen Artikel über die aktuelle
Wirtschaftskrise rein. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass mich das alles nichts mehr angeht. Mein Blutdruck bleibt da, wo er hingehört. Direkt vor dem Hotel finde ich später eine Reihe von parkenden Autos mit Knöllchen unter den Scheibenwischern. Mein Auto fehlt mir überhaupt nicht! Zu Fuß ist viel schöner! Mann, woran wäre ich heute ohne Acht vorbeigefahren: Es gibt viel Fachwerk zu sehen, einige Häuser sind mit Schieferplatten verkleidet.
    Das erste Mal auf der Reise habe ich das Gefühl, dass sich die Gegend hier anders anzieht als zu Hause … Auch das folgende Wegstück ist sehr nett: Es geht über einen Höhenkamm, der mit tonnenweise schönen Aussichten aufwartet. Ich laufe über herrlich schmale Pfade, das feuchte Gras fühlt sich gut an unter meinen Füßen.
    Der einzige Wermutstropfen: Zwischendurch muss ich immer wieder viel befahrene Straßen

Weitere Kostenlose Bücher