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Saphirblau

Saphirblau

Titel: Saphirblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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heute habe ich mich hier heruntergeschlichen und gewartet. Eigentlich habe ich nicht mehr damit gerechnet, dass überhaupt etwas passiert. Aber dann hast du dich aus dem Nichts vor mir materialisiert. Um punkt zwölf Uhr. Warum hast du mir diesen Brief geschrieben? Warum treffen wir uns in diesem abgelegenen Keller? Und aus welchem Jahr kommst du?«
    »2011«, sagte ich. »Tut mir leid, auf die anderen Fragen weiß ich leider auch keine Antwort.« Ich räusperte mich. »Wer sind Sie?«
    »Oh, entschuldige bitte. Mein Name ist Lucas Montrose. Ohne Lord. Ich bin Adept zweiten Grades.«
    Mein Mund war plötzlich ganz trocken. »Lucas Montrose. Bourdonplace Nummer 81.«
    Der junge Mann nickte. »Da wohnen meine Eltern, ja.«
    »Dann ...« Ich starrte ihn an und holte tief Luft: »Dann sind Sie mein Großvater.«
    »Oh, nicht
schon
wieder«, sagte der junge Mann und seufzte sehr tief. Dann gab er sich einen Ruck, löste sich von der Wand, staubte einen der Stühle ab, die in einer Ecke des Raumes verkehrt herum übereinandergestapelt waren, und stellte ihn vor mich hin. »Sollen wir uns nicht lieber setzen? Meine Beine fühlen sich an wie aus Gummi.«
    »Meine auch«, gab ich zu und ließ mich auf das Polster sinken. Lucas nahm sich einen weiteren Stuhl und setzte sich mir gegenüber.
    »Du bist also meine Enkelin?« Er grinste schwach. »Weißt du, das ist eine komische Vorstellung für mich. Ich bin nicht mal verheiratet. Genau genommen nicht mal verlobt.«
    »Wie alt bist du denn? Oh, entschuldige, das müsste ich wissen, du bist Jahrgang 1924, also bist du im Jahr 1948 vierundzwanzig Jahre alt.«
    »Ja«, sagte er. »In drei Monaten werde ich vierundzwanzig. Und wie alt bist du?«
    »Sechzehn.«
    »Genau wie Lucy.«
    Lucy. Ich musste daran denken, was sie mir hinterhergerufen hatte, als wir bei Lady Tilney geflohen waren.
    Noch immer konnte ich nicht glauben, dass ich vor meinem Großvater saß. Ich suchte nach Ähnlichkeiten mit dem Mann, auf dessen Schoß ich spannenden Geschichten gelauscht hatte. Der mich vor Charlotte in Schutz genommen hatte, wenn sie behauptete, ich wolle mich mit meinen Geistergeschichten wichtig machen. Aber das glatte Gesicht des Mannes vor mir schien überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem von Falten und Furchen durchzogenen Gesicht des alten Mannes zu haben, den ich gekannt hatte. Dafür fand ich aber, dass er meiner Mum ähnlich sah, die blauen Augen, die energisch geschwungene Linie des Kinns, die Art, wie er jetzt lächelte. Ich schloss für einen Moment überwältigt die Augen - das hier war einfach zu - zu viel.
    »Da wären wir also«, sagte Lucas leise. »Bin ich . .. äh . . . ein netter Opa?«
    Mich kitzelten Tränen in der Nase, die ich nur mit Mühe zurückhalten konnte. Also nickte ich nur.
    »Die anderen Zeitreisenden landen immer ganz offiziell und bequem oben im Drachensaal beim Chronografen oder im Dokumentenraum«, sagte Lucas. »Warum hast du dir dieses düstere alte Labor ausgesucht?«
    »Ich habe es mir nicht ausgesucht.« Ich wischte mir mit dem Handrücken über die Nase. »Ich wusste nicht mal, dass es ein Labor ist. Zu meiner Zeit ist dort ein ganz normaler Kellerraum mit einem Safe, in dem der Chronograf aufbewahrt wird.«
    »Tatsächlich? Nun, ein Labor ist das heutzutage auch schon lange nicht mehr«, sagte Lucas. »Aber ursprünglich wurde dieser Raum als geheimes Alchemielabor genutzt. Es ist einer der ältesten Räume in diesen Gemäuern. Schon Hunderte von Jahren vor Gründung der Loge des Grafen von Saint Germain haben hier berühmte Londoner Alchemisten und Magier Experimente auf der Suche nach dem Stein der Weisen angestellt. An den Wänden kann man teilweise noch gruselige Zeichnungen und geheimnisvolle Formeln sehen und man sagt, die Mauern seien deshalb so dick, weil darin Knochen und Schädel eingemauert sind ...« Er verstummte und nagte nun seinerseits an seiner Unterlippe. »Du bist also auch meine Enkelin - darf ich fragen, von welchem ... äh ... meiner Kinder?«
    »Meine Mum heißt Grace«, sagte ich. »Sie sieht dir ähnlich.«
    Lucas nickte. »Lucy hat mir von Grace erzählt. Sie sagt, sie wäre das netteste meiner Kinder, die anderen wären Spießer.« Er verzog den Mund. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mal spießige Kinder bekomme ... oder überhaupt welche ...«
    »Möglicherweise liegt das ja nicht an dir, sondern an deiner Frau«, murmelte ich.
    Lucas seufzte. »Seit Lucy vor zwei Monaten das erste Mal hier aufgetaucht ist, ziehen

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