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Saphirblau

Saphirblau

Titel: Saphirblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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nächsten Mal denken wir daran.« Dann schlug er wieder seinen überlegenen Lehrerton an. »Du wirst jetzt nach Hause gebracht. Ich empfehle dir, früh ins Bett zu gehen, morgen wird ein anstrengender Tag für dich.«
    »Ich bringe sie zu ihrem Wagen«, sagte Gideon, während er sich das schwarze Tuch vom Tisch nahm, mit dem man mir immer die Augen verband. »Wo ist Mr George?«
    »Er ist in einer Besprechung«, erwiderte Mr Whitman mit einem Stirnrunzeln. »Gideon, ich finde, du solltest deinen Umgangston noch einmal überdenken. Wir lassen dir viel durchgehen, weil wir wissen, dass du es im Augenblick nicht leicht hast, aber du solltest etwas mehr Respekt vor den Mitgliedern des Inneren Kreises zeigen.«
    Gideons Miene zeigte keinerlei Regung. Aber er sagte höflich. »Sie haben recht, Mr Whitman. Es tut mir leid.« Er hielt mir seine Hand hin. »Kommst du?«
    Beinahe hätte ich nach seiner Hand gegriffen, aus reinem Reflex. Und dass ich es nicht tun konnte, ohne vollends mein Gesicht zu verlieren, versetzte mir einen Stich. Ich war kurz davor, erneut in Tränen auszubrechen.
    »Äh, Wiedersehen«, sagte ich zu Mr Whitman und starrte dabei angestrengt auf den Boden.
    Gideon öffnete die Tür.
    »Bis morgen«, sagte Mr Whitman. »Und denkt beide daran: Ausreichend Schlaf ist die beste Vorbereitung.« Die Tür fiel hinter uns ins Schloss.
    »Soso, du warst also ganz allein mit einer fiesen Ratte im dunklen Keller«, sagte Gideon und grinste mich an.
    Ich konnte es kaum fassen. Zwei Tage lang hatte er mir nur kalte Blicke zugeworfen, die letzten Stunden sogar einige, die mich fast genauso wie die armen Tiere in den Kriegswintern zu einem steifen Brett hatten gefrieren lassen. Und jetzt das? Ein Scherz, als sei alles wie immer? Vielleicht war er ja ein Sadist und konnte erst dann lächeln, wenn er mich so richtig fertiggemacht hatte?
    »Willst du mir nicht die Augen verbinden?« Ich war noch nicht wieder in der Stimmung für seine blöden Witze, das sollte er ruhig merken.
    Gideon zuckte mit den Schultern. »Ich nehme an, du kennst den Weg. Das mit dem Augenverbinden können wir uns deshalb schenken. Komm.« Wieder ein freundliches Grinsen.
    Zum ersten Mal sah ich die Kellergänge in unserer Zeit. Sie waren sauber verputzt, in die Wände eingelassene Lichter, zum Teil mit Bewegungsmeldern, leuchteten den ganzen Weg perfekt aus.
    »Nicht besonders beeindruckend, oder?«, sagte Gideon. »Alle Gänge, die nach draußen führen, sind mit Spezialtüren und Alarmanlagen gesichert, heutzutage ist es hier so sicher wie in einem Banksafe. Aber das alles entstand erst in den Siebzigerjahren, vorher konnte man von hier aus unterirdisch durch halb London spazieren.«
    »Interessiert mich nicht«, sagte ich mürrisch.
    »Worüber möchtest du denn reden?«
    »Über nichts.« Wie konnte er nur so tun, als wäre gar nichts geschehen? Sein blödes Grinsen und dieser Small-Talk-Ton machten mich erst richtig wütend. Ich ging schneller, und obwohl ich dabei die Lippen fest aufeinanderpresste, konnte ich nicht verhindern, dass die Worte aus mir herausplatzten. »Ich kann das nicht, Gideon! Ich komm nicht damit klar, dass du mich immer abwechselnd küsst und dann wieder behandelst, als würdest du mich zutiefst verabscheuen.«
    Gideon schwieg einen Moment lang. »Ich würde dich auch lieber die ganze Zeit küssen, als dich zu verabscheuen«, sagte er dann. »Aber du machst es einem irgendwie auch nicht leicht.«
    »Ich habe dir nichts getan«, sagte ich.
    Er blieb stehen. »Ach komm schon, Gwendolyn! Du denkst doch nicht ernsthaft, dass ich dir die Story mit deinem Großvater abnehme? Als ob der ausgerechnet zufällig in dem Raum auftaucht, in den du elapsierst! Genauso wenig, wie Lucy und Paul zufällig bei Lady Tilney aufgetaucht sind. Oder diese Männer im Hyde Park.«
    »Ja, genau, ich habe die höchstpersönlich dahin bestellt, weil ich immer schon mal jemanden mit einem Degen durchbohren wollte. Nicht zu vergessen, einen Mann zu Gesicht bekommen wollte, dem das halbe Gesicht fehlt!«, fauchte ich.
    »Was und warum du in der Zukunft tun . . .«
    »Ach, halt den Mund!«, rief ich aufgebracht. »Ich habe das alles so satt! Seit letztem Montag lebe ich wie in einem Albtraum, der nicht mehr enden will. Wenn ich denke, ich bin aufgewacht, merke ich, dass ich immer noch träume. In meinem Kopf sind Millionen von Fragen, auf die mir niemand eine Antwort gibt, und alle erwarten, dass ich mein Bestes gebe, für etwas, das ich überhaupt nicht

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