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Saphirblau

Saphirblau

Titel: Saphirblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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verstehe!« Ich hatte mich wieder in Bewegung gesetzt, rannte beinahe, aber Gideon hielt mühelos Schritt. An der Treppe stand niemand, um nach der Parole zu fragen. Warum auch, wenn alle Eingänge gesichert waren wie in Fort Knox? Ich nahm immer zwei Stufen auf einmal. »Keiner hat mich gefragt, ob ich das hier überhaupt will. Ich muss mich mit durchgeknallten Tanzlehrern herumschlagen, die mich ununterbrochen beschimpfen, meine liebe Cousine darf mir zeigen, was sie alles kann, aber ich niemals lernen werde, und du . . . du . . .«
    Gideon schüttelte den Kopf. »Hey, kannst du dich einmal in meine Lage versetzen?« Jetzt war es auch um seine Ruhe geschehen. »Mir geht es nämlich ähnlich! Oder wie würdest du dich verhalten, wenn du genau wüsstest, dass ich früher oder später dafür sorgen würde, dass dir jemand eine Keule vor den Kopf donnert? Ich glaube kaum, dass du mich unter diesen Umständen noch für liebenswert und unschuldig halten würdest, oder?«
    »Das tue ich sowieso nicht!«, sagte ich heftig. »Weißt du, was? Mittlerweile könnte ich mir durchaus vorstellen, dass ich dir selber gern diese Keule vor den Kopf donnern würde.«
    »Na bitte«, sagte Gideon und grinste wieder.
    Ich schnaubte nur wütend. Wir liefen an Madame Rossinis Atelier vorbei. Unter der Tür fiel Licht in den Korridor. Wahrscheinlich arbeitete sie noch an unseren Kostümen.
    Gideon räusperte sich. »Wie gesagt, es tut mir leid. Können wir jetzt wieder normal miteinander reden?«
    Normal!
Dass ich nicht lachte.
    »Und - was machst du heute Abend noch?«, fragte er in seinem besten freundlich-unverfänglichem Plauderton.
    »Ich werde natürlich fleißig Menuett-Tanzen üben und vor dem Einschlafen noch Sätze ohne die Wörter Staubsauger, Pulsuhr, Jogging und Herztransplantation bilden«, erwiderte ich bissig. »Und du?«
    Gideon sah auf seine Uhr. »Ich werde Charlotte und meinen Bruder treffen und ... ja, mal schauen. Wir haben schließlich Samstagabend.«
    Ja, natürlich. Sollten die doch so viel schauen, wie sie wollten, mir reichte es.
    »Danke fürs Hochbringen«, sagte ich so kühl ich konnte. »Von hier aus finde ich den Wagen allein.«
    »Es liegt sowieso auf meinem Weg«, sagte Gideon. »Und du kannst ruhig aufhören zu rennen. Ich soll übermäßige Anstrengungen vermeiden. Anweisung von Dr. White.«
    Und obwohl ich so sauer auf ihn war, bekam ich für einen Moment so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Ich sah ihn von der Seite aus an. »Aber wenn dir an der nächsten Ecke jemand was gegen den Kopf haut, sag nicht, ich hätte dich dorthin gelockt.«
    Gideon lächelte.
»Noch
würdest du so was nicht tun.«
    Niemals
würde ich so etwas tun, schoss es mir durch den Kopf. Ganz egal, wie ekelhaft er sich mir gegenüber benahm. Niemals würde ich zulassen, dass ihm jemand wehtat. Wen auch immer er gesehen hatte - ich konnte es auf keinen Fall gewesen sein.
    Der Torbogen vor uns wurde vom Blitz eines Fotoapparates erhellt. Obwohl es schon dunkel war, waren immer noch viele Touristen in Temple unterwegs. Auf dem Parkplatz dahinter stand die schwarze Limousine, die ich schon kannte. Als er uns näher kommen sah, stieg der Fahrer aus und öffnete mir die Tür. Gideon wartete, bis ich im Wagen war, dann beugte er sich zu mir hinunter. »Gwendolyn?«
    »Ja?« Es war zu dunkel, um sein Gesicht genau zu erkennen.
    »Ich wünschte, du würdest mir mehr vertrauen.« Das klang so ernst und ehrlich, dass es mir für eine Sekunde die Sprache verschlug.
    »Ich wünschte, das könnte ich«, sagte ich dann. Erst als Gideon die Tür zugeschlagen und das Auto sich in Bewegung gesetzt hatte, fiel mir ein, dass ich besser »Ich wünsche mir das Gleiche von dir« gesagt hätte.
     
    Madame Rossinis Augen leuchteten vor Begeisterung. Sie nahm meine Hand und führte mich vor den großen Wandspiegel, damit ich das Ergebnis ihrer Bemühungen begutachten konnte. Auf den ersten Blick erkannte ich mich kaum wieder. Das lag vor allem an den normalerweise glatten Haaren, die zu unzähligen Locken gedreht und auf dem Kopf zu einer gigantischen Hochfrisur gesteckt worden waren, ähnlich der, die meine Cousine Janet bei ihrer Hochzeit getragen hatte. Einzelne Strähnen fielen in Korkerzieherlöckchen auf meine nackten Schultern. Der dunkelrote Farbton des Kleides ließ mich noch blasser wirken, als ich ohnehin schon war, aber ich sah nicht krank aus, sondern strahlend. Madame Rossini hatte nämlich meine Nase und die Stirn dezent abgepudert und mir

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