Saphirblau
eben á capella«, sagte ich zuversichtlich und wandte mich an das Publikum. »Das Lied heißt
Memory
und es geht darin um... eine Katze mit Liebeskummer. Aber im Grunde passt es auch auf uns Menschen. Im weitesten Sinne.«
Gideon hatte den Kopf wieder gehoben und sah mich ungläubig an. »Bitte . . .«, sagte er noch einmal.
»Wir erzählen einfach niemandem was davon«, sagte ich. »Okay? Das hier bleibt unser Geheimnis.«
»Es ist so weit. Die großartige, einmalige und wunderschöne Miss Gray wird nun für uns singen!«, rief Lord Brompton. »Zum ersten Mal vor Publikum!«
Ich hätte aufgeregt sein müssen, weil alle Gespräche verstummten und alle Blicke auf mich gerichtet waren, aber ich war es nicht. Hach, war dieser Punsch himmlisch! Ich musste mir unbedingt das Rezept geben lassen.
Was wollte ich noch mal singen?
Gideon schlug ein paar Töne auf dem Spinett an und ich erkannte die ersten Takte.
Memory.
Ach ja, genau. Ich lächelte Gideon dankbar an. Wie lieb von ihm mitzumachen. Ich holte tief Luft. Der erste Ton war bei diesem Lied besonders wichtig. Wenn man den versemmelte, konnte man genauso gut wieder aufhören. Man musste »Midnight« glasklar und trotzdem unaufdringlich in den Raum setzen.
Ich freute mich, weil es bei mir klang wie bei Barbra Streisand. »Not a sound from the pavement, has the moon lost her memory? She is smiling alone.«
Sieh mal einer an. Gideon konnte offensichtlich auch Klavier spielen. Und nicht mal schlecht. Oh Gott, wenn ich nicht schon so schrecklich in ihn verliebt gewesen wäre, hätte ich mich spätestens jetzt in ihn verliebt. Er musste nicht mal auf die Tasten gucken, er schaute nur mich an. Und er sah ein bisschen erstaunt aus, wie jemand, der gerade eine verblüffende Entdeckung gemacht hat. Vielleicht, weil der Mond eine
Sie
war?
»All alone in the moonlight I can dream at the old days«, sang ich nur für ihn. Der Raum hatte eine tolle Akustik, es war fast so, als würde ich mit einem Mikro singen. Oder es lag daran, dass nun alle mucksmäuschenstill waren. »Let the memory live again.« Das machte viel mehr Spaß als mit Sing Star. Es war wirklich, wirklich toll. Und auch wenn das alles nur ein schöner Traum war und jeden Moment Cynthias Vater ins Zimmer kommen und ein riesiges Donnerwetter über uns hereinbrechen würde - dieser Augenblick war es einfach wert.
Das würde mir wieder mal kein Mensch glauben.
Time ain't nothin but time. It's a verse with no rhyme,
and it all comes down to you.
Bon Jovi
11
Das einzig Doofe war, dass der Song so kurz war. Ich war versucht, eine Strophe dazuzudichten, aber so was konnte den guten Gesamteindruck nur verderben, also ließ ich es sein. Ein bisschen bedauernd sang ich also meine Lieblingszeilen: »If you touch me, you'll understand what happiness is. Look, a new day has begun« - und fand einmal mehr, dass das Lied nicht speziell für Katzen geschrieben sein konnte. Vielleicht lag es am Punsch - ja, ganz sicher, sogar -, aber die Gäste dieser Soiree schienen unseren Vortrag genauso zu mögen wie die italienischen Opernarien zuvor. Jedenfalls applaudierten sie begeistert, und während Lady Brompton nach vorne eilte, beugte ich mich zu Gideon hinab und sagte innig: »Danke! Das war wirklich lieb von dir! Und du spielst
so
toll!«
Er stützte wieder seinen Kopf in seine Hand, als könne er nicht fassen, was er getan hatte.
Lady Brompton umarmte mich und Mr Merchant küsste mich überschwänglich auf beide Wangen, nannte mich »Goldkehlchen« und verlangte eine Zugabe.
Ich war in so guter Stimmung, dass ich sofort weitergemacht hätte, aber da erwachte Gideon aus seiner Erstarrung, stand auf und packte mein Handgelenk. »Ich bin sicher, Andrew Lloyd Webber wäre entzückt, wenn er wüsste, dass man seine Musik hier bereits zu schätzen weiß, aber meine Schwester muss sich jetzt ausruhen. Sie hatte bis zur letzten Woche noch eine schlimme Halsentzündung und muss ihre Stimme auf ärztliche Anweisung schonen - sie könnte sie sonst eventuell für immer verlieren.«
»Um Himmels willen«, rief Lady Brompton. »Warum habt Ihr das nicht früher gesagt? Das arme Mädchen!«
Ich summte vergnügt vor mich hin - »I feel pretty« aus West Side Story.
»Ich ... Euer Punsch hat es wohl wirklich in sich«, sagte Gideon. »Ich denke, er verführt dazu, alle Vorsicht außer Acht zu lassen.«
»Oh ja, das tut er«, sagte Lady Brompton und strahlte über das ganze Gesicht. Mit gedämpfter Stimme fuhr sie
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