Saphirtraenen (Gesamtausgabe)
Erzählerin, die mich zaghaft anlächelt. Ihr Gesicht strahlt Güte und Weisheit aus und ich muss unwillkürlich lächeln.
„Darf ich hereinkommen?“
Ich nicke schwach und bedeute ihr, dass sie gerne auf meinem Bett Platz nehmen kann. Dankbar lässt sie sich nieder und lehnt ihren Gehstock an mein Bett.
„Ich habe davon gehört“, sagt sie nur.
Das überrascht mich.
„So wie jeder andere in diesem Dorf nehme ich an?“
Sie nickt bedächtig und schweigt.
„Ich bin gekommen, um dir eine Geschichte zu erzählen.“
Verdutzt starre ich sie an. Erzähler geben ihre Geschichten nie einzelnen Personen preis. Sie sind dafür da, um Weisheiten und Legenden möglichst weit zu verbreiten und zu erhalten.
„Ich sehe, auch in eurem Dorf ist das ungewöhnlich. Aber du musst eines verstehen, Niamh: Auch deine Situation ist ungewöhnlich. Du trägst ein Kind in dir, welches über das Schicksal Firyons entscheiden wird. Verrätst du mir, wer der Vater ist?“
Als ich nicht antworte lächelt sie gütig. Ich möchte Edan nicht verraten. Sie würden ihn gefangen nehmen und ihm vermutlich schreckliche Dinge antun.
„Ich verstehe. Es war sehr mutig von dir, dich mit einem Halbdämon einzulassen. Es erfordert eine Menge vertrauen.“
„Oder die Anziehung der Elemente“, murmle ich zynisch.
Sie mustert mich von oben bis unten und nickt anerkennend.
„Oder das. Hier in unserem Dorf erzählen wir unseren Kindern eine traurige Geschichte. Sie handelt von einer Dorfältestentochter, die eine große Gefahr nicht erkannte. Ich denke, sie würde dir gefallen und dich für einige Zeit von deinen Schmerzen ablenken. Möchtest du sie hören?“
Ohne eine Antwort abzuwarten fährt sie fort:
„Es war zu einer Zeit als die Bäume gerade frische Knospen trugen und die Wiesen neu blühten, dass in einem jungen Berg-Ilyea eine Liebe heranwuchs, die seinen Tod bedeuten sollte.
Er hatte die Tochter des Dorfältesten lange nicht gesehen und als er sie eines Tages draußen auf einer Wiese beim Blumenkranzflechten sah war es um ihn geschehen. Ihre Schönheit eroberte sein Herz im Sturm und auch sie war ihm gegenüber nicht abgeneigt. So begann er, um sie zu werben. Er schickte ihr steinerne Blumen, die er selbst formte und echte Blumen, die er mit eigener Hand von den höchsten Berggipfeln brach.
Mehrere Mondzyklen lang bekniete die Tochter ihren Vater, er möge diese Bindung zulassen. Als er schließlich nachgab, besiegelte er damit das Ende der beiden.
Der junge Berg-Ilyea war eines Tages auf einen der höchsten Berge gestiegen, um dort eine besonders seltene Pflanze für seine Angebetete zu holen. Auf dem Weg hinab wurde er von einem Steinrutsch überrascht und verschüttet.
Ein Dämon witterte seine Chance, nahm den sterbenden und somit widerstandlosen Körper in Besitz und half dem Unglücklichen, sich aus seiner misslichen Lage zu befreien. Zu diesem Zeitpunkt spürte er noch nicht, dass der Tod in ihm lauerte, deswegen ist ihm kein Vorwurf zu machen. Er hielt seine Rettung, an die er sich nicht erinnern konnte für ein Wunder.
Erst als die beiden den Liebesakt vollzogen erkannte er seinen Irrtum. Kurz vor dem großen Höhepunkt übernahm der Dämon die Kontrolle über seinen Körper und schwängerte so die Tochter des Dorfältesten. Der Fötus in ihrem Körper wuchs schneller als es Kinder eigentlich tun und schon nach wenigen Mondzyklen war es soweit: Unter Schmerzen gebar sie ein Kind – Halbdämon, halb Berg-Ilyea. Die Geburt war so schmerzhaft und kräftezehrend, dass sie kurz darauf verstarb, der Vater des Kindes wurde aus dem Dorf gejagt, denn man erkannte sofort das Dämonenblut in seinem Erben und schloss daraus, dass er ein Dämon sein musste. Sie wussten nicht, dass der Unheilige den Körper schon längst verlassen hatte.“
Ich halte den Atem an und fahre mit einer Hand über meinen Bauch.
„Das bedeutet, dass auch mein Kind schneller heranwachsen wird?“
Die Erzählerin nickt und sieht mich mitleidig an.
„Und dass du vermutlich bei der Geburt sterben musst.“
Stille. Unangenehme, nahezu greifbare Stille.
In den letzten Tagen wünschte ich mir den Tod herbei, doch jetzt wo er so nah bei mir ist, hoffe ich, dass die Erzählerin sich getäuscht hat. Dass die Heilerin Unrecht hatte. Dass alles ein großes Missverständnis ist.
Doch die kräftigen Tritte in meinem Inneren lassen keinen Zweifel zu.
„Ich muss sterben, bevor das Kind geboren werden kann“, flüstere ich und hoffe, dass die
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