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Sara Linton 01 - Tote Augen

Sara Linton 01 - Tote Augen

Titel: Sara Linton 01 - Tote Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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Oberlippe war offensichtlich aufgerissen worden, man hatte aber nie dafür gesorgt, dass sie ordentlich verheilte. Die schwache Narbe, die seitlich am Kiefer entlanglief und in seinem Kragen verschwand, sah alt aus, etwas, das man als Kind bekam und womit man für den Rest seines Lebens zurechtkommen musste. Sie hatte mit Will schon in den heißesten Sommermonaten gearbeitet und noch nie gesehen, dass er seine Hemdsärmel aufkrempelte oder wenigstens seine Krawatte lockerte. Seine Frage, wie Olivia Tanner sich selbst bestrafte, war besonders erhellend. Faith dachte oft, dass Angie Polaski eine Strafe war, die Will sich selbst auferlegt hatte.
    Auf der Treppe hörte sie Schritte. Will kam kopfschüttelnd in die Küche. » Ich habe auf dem Telefon oben die Wahlwiederholungstaste gedrückt. Ich bekam den Anrufbeantworter ihres Bruders in Houston dran.«
    Er hatte ein Buch in der Hand. » Was ist das?«
    Er gab ihr den schmalen Roman, der einen Bibliotheksaufkleber auf dem Rücken hatte. Der Umschlag zeigte eine kauernde, nackte Frau. Sie trug High Heels, aber die Pose war eher künstlerisch als pervers, was die deutliche Botschaft aussandte, das ist Literatur, kein Schrott. Also nicht die Art Buch, die Faith lesen würde. Sie blätterte in dem Bändchen und sagte zu Will: » Es geht um eine Frau, die eine metamphetaminsüchtige Diabetikerin ist, und ihren misshandelnden Vater.«
    » Eine Liebesgeschichte.« Er riet den Titel. » Enthüllt?«
    Er war nahe dran. Faith hatte herausgefunden, dass er im Allgemeinen die ersten drei Buchstaben eines Wortes las und den Rest erriet. Sehr häufig hatte er recht, aber ungewöhnliche Wörter verwirrten ihn.
    Sie legte das Buch mit dem Cover nach unten auf die Arbeitsfläche. » Haben Sie einen Computer gefunden?«
    » Keinen Computer. Kein Tagebuch. Keinen Kalender.« Er öffnete Schubladen und fand die TV -Fernbedienung. Er schaltete das Gerät an und drehte den Bildschirm in seine Richtung. » Das ist der einzige Fernseher im Haus.«
    » Im Schlafzimmer gibt’s keinen?«
    » Nein.« Will zappte durch die Kanäle und fand das gewohnte digitale Angebot. » Sie hat keinen Kabelanschluss. Am Anschlusskasten im Keller gibt es kein DSL -Modem.«
    » Dann hat sie also kein Highspeed-Internet«, schloss Faith. » Vielleicht wählt sie sich drahtlos ein. Sie könnte in der Bank einen Laptop haben.«
    » Oder jemand könnte ihn mitgenommen haben.«
    » Oder sie lässt ihre Arbeit im Büro. Ihr Bruder sagt, sie ist von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in der Bank.«
    Er schaltete den Fernseher wieder aus. » Haben Sie hier unten irgendwas gefunden?«
    » Aspirin«, sagte Faith und deutete auf die Behälter im Vorratsschrank. » Was haben Sie damit gemeint, dass Olivia Michael schützte?«
    » Es geht um das, worüber wir in Paulines Büro gesprochen haben. Hatten Ihre Eltern viel Zeit für Ihren Bruder, als Sie in Schwierigkeiten waren?«
    Faith schüttelte den Kopf und erkannte, dass Will völlig recht hatte mit dem, was er sagte. Olivia hatte die ganze negative Aufmerksamkeit von ihrem Bruder abgezogen, damit wenigstens er so etwas wie ein normales Leben führen konnte.
    Kein Wunder, dass den Mann ein so gigantisches Schuldbewusstsein quälte. Er war einer, der überlebt hatte.
    Will schaute zum hinteren Fenster hinaus, hinüber zu dem anscheinend leeren Haus hinter Olivias. » Diese Vorhänge an der Tür stören mich.«
    Faith kam zu ihm ans Fenster. Er hatte recht. An den Souterrainfenstern waren alle Jalousien geschlossen, nur die Vorhänge der Türen standen offen.
    Faith hob ihre Stimme. » Dr. Tanner, wir gehen mal kurz nach draußen. Wir sind gleich wieder zurück.«
    » Okay«, erwiderte Michael Tanner.
    Er klang noch immer zitterig, deshalb fügte Faith hinzu: » Bis jetzt haben wir noch nichts gefunden. Wir suchen immer noch.«
    Sie wartete. Es kam keine Antwort.
    Will hielt ihr die Hintertür auf, und sie traten beide auf die Veranda.
    Er sagte: » Ihre Sachen sind alle in Größe 36. Ist das normal?«
    » Schön wär’s«, murmelte Faith und bemerkte, was sie gesagt hatte. » Es ist dünn, aber es ist nicht furchtbar.«
    Faith ließ den Blick noch einmal über Olivia Tanners Garten wandern. Das Grundstück war, wie die meisten innerstädtischen Gärten, kaum mehr als tausend Quadratmeter groß, Zäune markierten die Grenzen, und alle zweihundert Meter ragten Telefonmasten in den Himmel. Faith folgte Will die Verandastufen hinunter. Olivias Garten wurde von einem teuer

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