Sara Linton 01 - Tote Augen
billigen Plastikjalousien verhängt waren. Eine der Lamellen war aufgebogen und gerissen. Will drehte an dem Plastikstab, um die Jalousie zu öffnen und Tageslicht hereinzulassen. Er kauerte sich hin und betrachtete den Boden.
Faith steckte ihre Waffe wieder in die Tasche. Ihr Herz schlug noch immer wie eine Trommel. » Will, Sie haben mir eine Heidenangst eingejagt. Dringen Sie nie mehr so in ein Haus ein, ohne dass ich Ihnen den Rücken decke.«
» Sie können nicht beides haben.«
» Was soll das heißen?«, wollte sie wissen, doch sie wusste es bereits. Er versuchte, aggressiver zu sein, um sie zufriedenzustellen.
» Schauen Sie.« Er winkte sie zu sich. » Fußabdrücke.«
Faith erkannte die rötlichen Umrisse eines Paars Schuhe auf dem Teppich. Eines der tollen Dinge am Leben in Georgia war der rote Lehm, der an jeder Oberfläche haftete, egal, ob er feucht war oder trocken. An der kaputten Lamelle der Jalousie vorbei schaute sie zum Fenster hinaus. Olivias Haus war deutlich zu sehen.
Will sagte: » Sie hatten recht. Er beobachtet sie. Er folgt ihnen, lernt ihren Tagesablauf kennen, weiß, wer sie sind.« Er ging hinter die Bar und öffnete und schloss Schranktüren. » Jemand hat diese Cola-Dose als Aschenbecher benutzt.«
» Wahrscheinlich die Umzugsleute.«
Er öffnete den Kühlschrank. Sie hörte Glas klirren. » Doc Peterson’s Root Beer.« Wahrscheinlich hatte er das Etikett erkannt.
» Wir sollten hier raus, bevor wir die Szene noch mehr kontaminieren, als wir es schon getan haben.«
Zum Glück schien Will mit ihr einer Meinung zu sein. Er folgte Faith nach draußen und zog die Tür so weit wieder zu, wie sie sie vorgefunden hatten.
Sie sagte: » Das fühlt sich irgendwie anders an.«
» Inwiefern?«
» Ich weiß auch nicht so recht«, gab sie zu. » Im Haus von Jackies Mutter oder bei Pauline in der Arbeit haben wir rein gar nichts gefunden. Leo hat ihr Haus durchsucht. Auch dort war nichts. Unser Kerl hinterlässt keine Spuren, also warum haben wir hier Fußabdrücke? Warum stand die Tür offen?«
» Er hat zwei Opfer verloren. Anna und Jackie konnten entkommen. Vielleicht hatte er Olivia Tanner für später eingeplant. Vielleicht musste er sie vorziehen als Ersatz.«
» Wer könnte wissen, dass dieses Haus leer stand?«
» Jeder, der sich dafür interessierte.«
Faith schaute wieder zu Olivias Haus und sah Michael Tanner auf der hinteren Veranda stehen. Der Gedanke, ihren Hintern wieder über den Zaun hieven zu müssen, war ihr nicht gerade angenehm.
Will sagte: » Ich springe drüber. Sie gehen außen herum.«
Sie schüttelte den Kopf und ging mit entschlossenen Schritten durch den Garten. Da die Längspfosten auf dieser Seite standen, war der Zaun von hier aus leichter zu überwinden. In der Mitte verlief längs ein langes Kantholz, das sie als Tritt benutzen konnte, und so konnte Faith mit weniger Hilfe als zuvor über den Zaun klettern. Will schaffte es wieder mit einer einhändigen Flanke.
Michael Tanner stand an der Hintertür des Hauses seiner Schwester und erwartete sie mit gefalteten Händen. » Stimmt etwas nicht?«
» Nichts, über das wir im Augenblick mit Ihnen sprechen könnten«, antwortete Faith. » Ich brauche von Ihnen noch …«
Als sie auf die unterste Stufe treten wollte, glitt ihr Fuß aus. Ein komisches Geräusch fast wie ein Uff kam aus ihrem Mund, aber sie fühlte sich alles andere als erheitert. Kurz konnte sie nicht mehr klar sehen, in ihrem Kopf drehte sich alles. Ohne nachzudenken, drückte sie die Hand auf den Bauch, und sie konnte an nichts anderes mehr denken als an das, was in ihr wuchs.
» Alles okay?«, fragte Will. Er kniete neben ihr und stützte ihren Hinterkopf mit einer Hand.
Michael Tanner kniete sich auf der anderen Seite neben sie. » Atmen Sie langsam, bis Ihre Atmung sich wieder normalisiert hat.« Seine Hände tasteten ihr Rückgrat entlang, und sie wollte sie schon wegschlagen, als ihr einfiel, dass er ja Arzt war. » Langsam atmen. Ein und aus.«
Faith versuchte es. Offensichtlich hatte sie ohne erkennbaren Grund angefangen zu keuchen.
Will fragte: » Alles in Ordnung?«
Sie nickte und dachte, vielleicht schon. » Hab einfach keine Luft mehr gekriegt«, hauchte sie. » Helfen Sie mir auf.«
Will packte sie unter den Armen, und sie merkte, wie stark er wirklich war, als er sie mühelos auf die Füße hob. » Sie müssen aufhören, immer wieder einfach so umzufallen.«
» Ich bin eine solche Idiotin.« Sie hatte noch immer die
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