Sara Linton 01 - Tote Augen
es.«
» Haben Sie diese Diabetesgeschichte im Griff?« Faiths Gesichtsausdruck war anscheinend Antwort genug. » Ich schicke einen meiner Agenten, der tatsächlich dazu in der Lage ist.« Sie wischte jeden denkbaren Einwand mit einer Handbewegung weg. » Lassen wir diese Sache auf sich beruhen, bis sie uns wieder ins Gesicht springt, okay?«
» Das alles tut mir sehr leid.« In der letzten Viertelstunde hatte Faith sich öfter entschuldigt als in ihrem ganzen bisherigen Leben.
Amanda schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Lust, über die Situation zu diskutieren. » Der Portier hat einen Anwalt verlangt. Wir haben geplant, ihn gleich morgen früh zu befragen.«
» Sie haben ihn verhaftet?«
» Wir haben ihn interniert. Er ist offensichtlich ausländischer Herkunft. Der Patriot Act gibt uns das Recht, ihn vierundzwanzig Stunden festzuhalten, um seinen Immigrantenstatus zu überprüfen. Wir können seine Wohnung auf den Kopf stellen, und wenn wir Glück haben, finden wir etwas, mit dem wir ihn festnageln können.«
Faith war nicht in der Position, über den korrekten Lauf der Gerechtigkeit zu diskutieren.
Amanda fragte: » Was ist mit Annas Nachbarn?«
» Es ist ein ruhiges Gebäude. Die Wohnung unter dem Penthouse steht seit Monaten leer. Die hätten da oben eine Atombombe zünden können, und keiner hätte es bemerkt.«
» Der Tote?«
» Drogendealer. Heroin-Überdosis.«
» Annas Arbeitgeber hat sie nicht vermisst?«
Faith berichtete ihr das Wenige, was sie herausgefunden hatte. » Sie arbeitet für eine Anwaltskanzlei – Bandle and Brinks.«
» O Gott, das Ganze wird ja immer schlimmer. Kennen Sie diese Kanzlei?« Amanda ließ Faith keine Zeit für eine Antwort. » Sie sind spezialisiert auf Klagen gegen Kommunalbehörden – schlechte Polizeiarbeit, schlechte Sozialdienste. Sie stürzen sich auf alles, wobei sie einen packen können, und dann prozessieren sie, bis bei uns Ebbe ist im Budget. Sie haben öfter gegen den Staat geklagt und gewonnen, als ich zählen kann.«
» Sie waren Fragen nicht zugänglich. Ohne Gerichtsbeschluss rücken sie keine einzige Akte heraus.«
» Mit anderen Worten, sie spielen Anwalt.« Amanda ging in dem Raum auf und ab. » Wir beide sprechen jetzt mit Anna, und dann fahren wir zu diesem Gebäude zurück und stellen es auf den Kopf, bevor diese Kanzlei überhaupt merkt, was wir tun.«
» Wann ist die Befragung des Portiers?«
» Pünktlich um acht morgen früh. Meinen Sie, Sie bringen das in Ihrem vollen Terminkalender noch unter?«
» Ja, Ma’am.«
Als Amanda den Kopf schüttelte, wirkte sie wie eine Mutter – frustriert und leicht entrüstet. » Ich nehme nicht an, dass wenigstens der Vater im Bilde ist?«
» Ich bin ein bisschen zu alt, um was Neues auszuprobieren.«
» Glückwunsch«, sagte sie und öffnete die Tür. Man hätte es positiv verstehen können, wenn sie nicht noch » Idiotin« gemurmelt hätte, als sie auf den Gang trat.
Faith hatte nicht gemerkt, dass sie den Atem angehalten hatte, bis Amanda den Raum verlassen hatte. Ihre Lippen öffneten sich zu einem schweren Seufzen, und zum ersten Mal seit Beginn dieser Diabetesgeschichte stach sie sich die Nadel bereits beim ersten Versuch in die Haut. Es tat nicht mehr so weh, oder vielleicht stand sie so unter Schock, dass sie nichts spürte.
Sie starrte die Wand vor sich an und versuchte, sich wieder auf die Ermittlung zu konzentrieren. Faith schloss die Augen und stellte sich die Autopsiefotos von Jacquelyn Zabel vor, die Höhle, in der Jacquelyn und Anna Lindsey festgehalten worden waren. Sie rief sich die Abscheulichkeiten ins Bewusstsein, die diesen Frauen passiert waren – die Folterungen, der Schmerz. Wieder legte sie die Hand auf den Bauch. War das Kind, das in ihr wuchs, ein Mädchen? In was für eine Welt brachte Faith sie; eine Welt, in der junge Mädchen von ihren Vätern belästigt wurden, in der Magazine einem sagten, dass man nie perfekt genug sein könne, in der Sadisten einen von einem Augenblick auf den anderen aus der eigenen Welt heraus und weg vom eigenen Kind reißen und für den Rest des Lebens in eine Hölle auf Erden stoßen konnten?
Ein Schauder durchfuhr sie. Sie stand auf und verließ den Raum.
Die Polizisten vor Annas Tür traten beiseite. Faith verschränkte die Arme, aus dem Zimmer wehte ihr Kälte entgegen. Anna lag in ihrem Bett, Balthazar in der Beuge ihres knochigen Arms. Ihre Schulter trat deutlich hervor, die Knochen drückten durch die Haut wie bei den
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