Sara Linton 01 - Tote Augen
Bank magere Zinsen einbrachte. Sie überlegte sich oft, es seinem Sohn zu geben, aber das wäre zu kompliziert gewesen. Jeffreys Sohn hatte nie erfahren, dass Jeffrey sein wahrer Vater war. Sie konnte dem Jungen nicht sein Leben ruinieren und ihm dann einen Geldbetrag übergeben, der für einen College-Studenten ein kleines Vermögen bedeutete.
Also lag Jeffreys Geld auf der Bank, so wie der Brief auf Saras Kaminsims lag. Sie stand am Kamin, strich über den Rand des Umschlags und fragte sich, warum sie ihn nicht wieder in ihre Handtasche oder in die Tasche ihrer Jeans oder ihres Labormantels gesteckt hatte.
Während ihres fanatischen Putzanfalls hatte sie ihn lediglich hochgehoben, um darunter Staub zu wischen, als sie beim Kaminsims angelangt war.
Sara sah Jeffreys Ehering am anderen Ende liegen. Den ihren – ein entsprechendes Band aus Weißgold – trug sie noch immer, aber sein College-Ring, ein Goldbrocken mit den Insignien der Auburn University, war ihr wichtiger. Der blaue Stein war zerkratzt, und der Ring war ihr zu groß, deshalb trug sie ihn an einer langen Kette um den Hals wie Soldaten ihre Marken. Sie trug ihn nicht, damit er gesehen wurde. Er steckte immer unter der Kleidung, dicht am Herzen, damit sie ihn spüren konnte.
Dennoch nahm sie Jeffreys Ehering und küsste ihn, bevor sie ihn wieder auf den Sims legte. In den letzten Tagen hatte Jeffrey in ihrem Bewusstsein einen anderen Platz eingenommen. Es war, als würde sie wieder trauern, aber diesmal mit einem gewissen Abstand. Anstatt aufzuwachen und sich völlig vernichtet zu fühlen wie in den letzten dreieinhalb Jahren, war sie nur unglaublich traurig. Traurig, wenn sie sich im Bett umdrehte und er nicht neben ihr lag. Traurig, weil sie ihn nie wieder lächeln sehen würde. Traurig, weil sie ihn nie mehr in den Armen halten und in sich spüren würde. Aber eben nicht völlig vernichtet. Nicht so, dass jede Bewegung oder jeder Gedanke eine Anstrengung war. Nicht so, als würde es am Ende dieses Tunnels kein Licht geben.
Und da war noch etwas anderes. Faith Mitchell war heute sehr gemein zu ihr gewesen, und sie hatte es überlebt. Sie war nicht zusammengebrochen, hatte sich nicht in Tränen aufgelöst. Sie war kein Häuflein Elend geworden. Sie hatte sich zusammengerissen. Und das Komische war, in gewisser Weise fühlte Sara sich genau deswegen Jeffrey näher. Sie fühlte sich stärker, eher wie die Frau, in die er sich verliebt hatte, als wie die Frau, die ohne ihn am Boden zerstört war. Sie schloss die Augen, und beinahe konnte sie seinen Atem auf ihrem Nacken spüren, seine Lippen, die sie so sanft berührten, dass ihr ein Kribbeln über den Rücken lief. Sie stellte sich vor, wie seine Hände sich um ihre Taille legten, und war überrascht, als sie ihre Hand dorthin legte und nichts als ihre eigene, heiße Haut spürte.
Es klingelte, und Sara erschrak, ebenso ihre Hunde. Sie beschwichtigte sie, während sie zur Gegensprechanlage ging, um den Pizzalieferanten hereinzulassen. Betty, Will Trents Hund, war von Billy und Bob, ihren beiden Windhunden, sehr schnell adoptiert worden. Zuvor bei ihrem Hausputz hatten es sich alle drei dicht beieinander auf der Couch bequem gemacht, nur gelegentlich hochgeschaut, wenn sie hereinkam, und sie hin und wieder scharf angesehen, wenn sie zu viel Lärm machte. Nicht einmal der Staubsauger hatte sie verjagen können.
Sara öffnete die Tür und wartete auf Armando, der ihr mindestens zweimal pro Woche Pizza brachte. Sie tat so, als wäre es normal, dass sie sich mit Vornamen anredeten, und sie gab ihm regelmäßig zu viel Trinkgeld, damit er sich nicht lange darüber ausließ, dass er sie öfter sehe als seine beiden Kinder.
» Alles okay?«, fragte er, während Pizza und Geld die Besitzer wechselten.
» Bestens«, erwiderte sie, doch in Gedanken war sie bereits wieder bei dem, was sie getan hatte, bevor es geklingelt hatte. Es war schon sehr lange her, dass sie sich so intensiv daran erinnert hatte, wie es sich anfühlte, mit Jeffrey zusammen zu sein. Sie wollte sich dieses Gefühl bewahren, wollte ins Bett kriechen und sich an diesen glücklichen Ort zurückversetzen.
» Schönen Tag noch, Sara.« Armando wandte sich zum Gehen, blieb aber noch einmal stehen. » Hey, da unten hängt irgend so ein komischer Typ herum.«
Sie lebte mitten in einer großen Stadt, das war also nichts Ungewöhnliches. » Normal komisch oder so komisch, dass man die Bullen rufen sollte?«
» Ich glaube, er ist ein Bulle.
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