Sara Linton 01 - Tote Augen
Sie sagten, drei Opfer. Heißt das, dass noch eine Frau entführt wurde?«
Faith wurde bewusst, dass Olivia Tanners Fall es noch nicht in die Medien geschafft hatte. » Ja. Aber halten Sie das unter Verschluss, wenn es geht.«
» Natürlich.«
» Zwei von ihnen scheinen sehr viel Aspirin zu nehmen. Das neue Opfer, von dem wir heute erfahren haben, hatte sechs Riesenpackungen in seinem Haus. Jacquelyn Zabel hatte eine große Packung neben ihrem Bett stehen.«
Sara nickte, als würde sich ein Bild ergeben. » Hochdosiert ist das ein Brechmittel. Das würde erklären, warum Zabels Magen so viele Geschwüre aufwies.« Sie fügte hinzu: » Und das würde erklären, warum sie noch blutete, als Will sie fand. Das sollten Sie ihm sagen. Er war ziemlich bestürzt darüber, dass er sie nicht rechtzeitig entdeckt hat.«
Im Augenblick war Will über sehr viel mehr bestürzt. Trotz allem hatte sie eines nicht vergessen: » Er braucht Ihre Wohnungsnummer.«
» Warum?« Sara beantwortete ihre Frage selbst: » Ach, der Hund seiner Frau.«
» Genau«, sagte Faith und dachte, diese Lüge aufrechtzuerhalten, sei das Mindeste, was sie für Will tun konnte.
» Zwölf. Steht auf dem Klingelbrett.« Sie legte die Hand wieder auf den Rand der Wiege. » Ich sollte diesen Jungen jetzt zu seiner Mutter bringen.«
Faith hielt ihr die Tür auf, und Sara rollte die Wiege hinaus. Die Geräusche im Flur hallten ihr in den Ohren wider, bis sie die Tür schloss. Sie setzte sich auf den Hocker vor der Arbeitsfläche, hob ihren Rock an und suchte nach Stellen, die noch nicht blau und schwarz waren von den Nadeln. In der Diabetesbroschüre hatte es geheißen, man solle die Einstichstellen wechseln, und Faith schaute deshalb auf ihren Bauch, wo sie eine noch unberührte Stelle fand, die sie mit Daumen und Zeigefinger zusammendrückte.
Sie hielt sich den Insulin-Pen einige Zentimeter von ihrem Bauch entfernt, stieß die Nadel aber nicht hinein. Irgendwo hinter all diesen Pop-Tarts war ein winziges Baby mit winzigen Händen und Füßen und einem Mund und Augen – das jeden ihrer Atemzüge mitatmete, das mitpinkelte, wenn sie alle zehn Minuten zur Toilette rannte. Saras Worte hatte Faith etwas klargemacht, aber Balthazar Lindsey zu spüren, das hatte ein Gefühl in ihr geweckt, das sie im Leben noch nicht gehabt hatte. Sosehr sie Jeremy auch geliebt hatte, seine Geburt war kaum ein Grund zum Feiern gewesen. Fünfzehn Jahre war kein Alter für eine Babyparty, und sogar die Schwestern im Krankenhaus hatten sie mitleidig angesehen.
Dieses Mal würde es jedoch anders sein. Faith war inzwischen alt genug, um ihre Mutterschaft akzeptieren zu können. Sie würde mit dem Baby auf der Hüfte durchs Einkaufszentrum gehen, ohne sich sorgen zu müssen, die Leute würden denken, sie wäre die ältere Schwester ihres eigenen Kinds. Sie konnte ihn zum Kinderarzt bringen und alle Formulare unterschreiben, ohne dass ihre Mutter mit unterschreiben musste. Sie konnte bei Elternabenden den Lehrern sagen, sie sollten ihr den Buckel herunterrutschen, ohne dass sie dann selbst zum Rektor geschickt wurde. Mann, sie konnte inzwischen sogar Auto fahren.
Dieses Mal konnte sie es richtig machen. Sie konnte von Anfang bis Ende eine gute Mutter sein. Na ja, vielleicht nicht von allem Anfang an. Faith zählte all die Dinge zusammen, die sie ihrem Baby allein diese Woche angetan hatte: Sie hatte es ignoriert, seine Existenz geleugnet, war in einer Garage ohnmächtig geworden, hatte über Abtreibung nachgedacht und es allem ausgesetzt, was Sam Lawson in sich trug, war von einer Verandastufe gefallen und hatte ihrer beider Leben riskiert, indem sie Will davon abzuhalten versuchte, den Schädel eines russischen Portiers in die teure, fein gewebte Auslegeware im Gang vor dem Penthouse im Beeston Place zu hämmern.
Und jetzt waren sie hier, Mutter und Kind, auf der Intensivstation des Grady, und sie war dabei, sich irgendwo in der Nähe seines Kopfes eine Nadel in den Bauch zu rammen.
Die Tür ging auf.
» Was, zum Teufel, tun Sie da?«, fragte Amanda. Doch sie kam sehr schnell selbst darauf. » Ach du meine Güte! Wann hatten Sie vor, mir das zu erzählen?«
Faith schob sich den Rock wieder herunter, dachte sich jedoch, dass es für Schamhaftigkeit ein bisschen spät war. » Gleich nachdem ich Ihnen gesagt hätte, dass ich schwanger bin.«
Amanda versuchte, die Tür zuzuknallen, aber die hydraulische Türautomatik ließ das nicht zu. » Verdammt noch mal, Faith. Mit einem
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