Sara Linton 01 - Tote Augen
Sieht zwar nicht so aus, aber ich habe seine Marke gesehen.«
» Danke«, sagte sie. Er nickte und ging zum Aufzug. Sara stellte die Pizzaschachtel auf die Küchenanrichte und ging zum anderen Ende des Wohnzimmers. Sie öffnete das Fenster und beugte sich hinaus. Und wirklich, sechs Stockwerke unter ihr entdeckte sie einen Mann, der verdächtig aussah wie Will Trent.
» Hey!«, rief sie. Er reagierte nicht, und sie schaute einige Augenblicke zu, wie er dort unten auf und ab ging, und fragte sich, ob er sie nicht gehört hatte. Sie rief noch einmal, doch diesmal so laut, als wäre sie in einem vollbesetzten Fußballstadion. » Hey!«
Nun hob Will endlich den Kopf, und sie rief ihm zu: » Sechster Stock.«
Sie sah ihn das Gebäude betreten und dabei an Armando vorbeigehen, der eben heraustrat, Sara zuwinkte und etwas wie » Bis bald« rief. Sara schloss das Fenster und hoffte, dass Will diesen Austausch nicht mitbekommen hatte oder zumindest den Anstand hatte, so zu tun, als hätte er nichts gehört. Sie schaute sich in der Wohnung um, kontrollierte, ob alles wenigstens einigermaßen an Ort und Stelle war. Mitten im Wohnzimmer standen zwei Couchen, eine vollgepackt mit Hunden, die andere mit Kissen. Sara schüttelte sie auf und drapierte sie, wie sie hoffte, auf kunstvolle Art wieder auf dem Sofa.
Dank zwei Stunden Putzen war die Küche blitzblank, sogar der kupferne Spritzschutz hinter dem Herd, der großartig aussah, bis man merkte, dass man zwei verschiedene Reinigungsmittel dafür brauchte. Sie kam an dem Flachbildfernseher an der Wand vorbei und blieb wie angewurzelt stehen. Sie hatte vergessen, den Bildschirm abzustauben. Sie zog sich den Ärmel ihrer Bluse über die Hand und wischte, so gut es ging.
Als sie die Tür öffnete, trat Will eben aus dem Aufzug. Sara hatte den Mann nur ein paar Mal gesehen, aber er schaute schrecklich aus, als hätte er seit Wochen nicht geschlafen. Sie sah seine linke Hand und bemerkte, dass die Haut an den Knöcheln aufgeplatzt war, als hätte er mehrmals auf etwas Hartes geschlagen.
Hin und wieder war auch Jeffrey mit solchen Verletzungen nach Hause gekommen. Sara hatte ihn immer danach gefragt, und er hatte immer gelogen. Allerdings nahm sie ihm diese Lügen gerne ab, denn ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, dass er außerhalb der Gesetze agierte. Sie wollte glauben, dass ihr Mann ein in jeder Hinsicht guter Mensch war. Ein Teil von ihr wollte auch glauben, dass Will Trent ein guter Mensch war, und deshalb war sie bereit, jede Geschichte zu glauben, die er ihr auftischte, als sie ihn fragte: » Alles in Ordnung mit Ihrer Hand?«
» Ich habe jemanden geschlagen. Den Portier von Annas Wohnhaus.«
Seine Aufrichtigkeit überrumpelte Sara. Sie brauchte einen Augenblick, bis sie fragte: » Warum?«
Wieder schien er ihr die Wahrheit zu sagen: » Bin einfach durchgedreht.«
» Haben Sie Schwierigkeiten mit Ihrer Chefin?«
» Nicht wirklich.«
Sie merkte, dass er noch immer im Gang stand, und trat beiseite, um ihn einzulassen. » Der Junge hatte großes Glück, dass Sie ihn gefunden haben. Ich glaube nicht, dass er noch einen Tag überstanden hätte.«
» Das ist eine bequeme Ausrede.« Er schaute sich im Zimmer um und kratzte sich abwesend den Arm. » Ich habe noch nie einen Verdächtigen geschlagen. Ich habe ihnen oft das Gefühl gegeben, ich könnte es tun, aber ich habe es noch nie wirklich getan.«
» Meine Mutter hat immer gesagt, niemals und immer liegen dicht beieinander.« Er schaute sie verwirrt an, und Sara erklärte: » Wenn man erst einmal etwas Falsches getan hat, tut man es beim zweiten Mal schon leichter, und beim nächsten Mal wieder, und bevor man es merkt, tut man es die ganze Zeit und hat nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei.«
Er starrte sie lange an, ihr kam es vor wie eine volle Minute.
Sie zuckte die Achseln. » Es liegt ganz an Ihnen. Wenn Sie diese Grenze nicht überschreiten wollen, dann tun Sie es nie wieder. Sie dürfen nie zulassen, dass es einfach wird.«
In seinem Gesicht wechselte sich Überraschung mit Erleichterung ab. Doch anstatt auf das einzugehen, was sie eben gesagt hatte, sagte er nur: » Ich hoffe, Betty war kein allzu großes Problem.«
» Absolut keines. Sie hat überhaupt nicht gebellt.«
» Ja«, entgegnete er. » Es war nicht meine Absicht, sie bei Ihnen abzuladen.«
» Es war kein Problem«, versicherte ihm Sara, obwohl sie zugeben musste, dass Faith Mitchell in Bezug auf ihre Motive heute Morgen recht hatte. Sara
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