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Sara Linton 01 - Tote Augen

Sara Linton 01 - Tote Augen

Titel: Sara Linton 01 - Tote Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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der Stirn, es lief ihr unter die Binde und in die Augen. Sie konnte es nicht wegzwinkern, nicht wegwischen. Es fühlte sich an, als würde eine Spinne über ihre Lider krabbeln und langsam in ihre Augäpfel dringen.
    » Nein«, sagte Pauline, als sie merkte, dass sie in einer Halluzination versank; Spinnen huschten über ihr Gesicht, gruben sich in die Haut, legten Eier in die Augen. » Nein!«
    Sie setzte sich abrupt auf, von der plötzlichen Bewegung wurde ihr schwarz vor Augen. Sie keuchte und beugte sich vor, bis ihr Kopf die Knie und ihre Brust die Schenkel berührten. Sie musste sich wieder unter Kontrolle bekommen. Sie durfte sich nicht dem Durst geschlagen geben. Sie durfte nicht zulassen, dass die Demenz sich wieder in ihrem Hirn breitmachte, bis sie vergaß, wo sie war.
    » Was machst du?«, flüsterte die Fremde voller Angst.
    » Lass mich in Ruhe.«
    » Er wird dich hören. Er wird runterkommen.«
    » Er kommt nicht runter«, blaffte Pauline. Und um es zu beweisen, schrie sie: » Komm doch runter, du Arschloch!« Ihre Kehle war so trocken, dass sie vor Anstrengung husten musste, aber sie brüllte weiter: » Ich versuche zu fliehen. Halt mich doch davon ab, du schlappschwänziger Wichser!«
    Sie warteten und warteten. Pauline zählte die Sekunden. Keine Schritte auf der Treppe. Kein Licht, das anging. Keine Tür, die geöffnet wurde.
    » Woher weißt du das?«, fragte die Fremde. » Woher weißt du, was er tut?«
    » Er wartet darauf, dass eine von uns zusammenbricht«, erwiderte Pauline. » Und das werde nicht ich sein.«
    Die Frau stellte noch eine andere Frage, aber Pauline ignorierte sie und brachte sich wieder vor der Wand in Position. Sie bereitete sich darauf vor, den Kopf gegen die Wand zu stoßen, aber sie konnte es nicht tun. Sie konnte sich nicht noch einmal selbst wehtun. Nicht jetzt im Augenblick. Später. Sie würde sich ein paar Minuten ausruhen und es dann später tun.
    Sie legte sich auf den Rücken, Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie öffnete den Mund nicht, denn sie wollte nicht, dass die Frau sie weinen hörte. Die Fremde hatte sie schon schluchzen hören, hatte gehört, wie Pauline in ihrer eigenen Pisse herumrutschte. Die Show war jetzt vorbei. Es wurden keine Tickets mehr verkauft.
    » Wie heißt du?«, fragte die Fremde.
    » Geht dich, verdammt noch mal, nichts an«, bellte Pauline. Sie wollte keine Freundschaft schließen. Sie wollte hier raus, koste es, was es wolle, und wenn es hieß, über die Leiche dieser Fremden in die Freiheit zu klettern, würde Pauline es tun. » Halt einfach den Mund.«
    » Sag mir, was du vorhast, vielleicht kann ich dir ja helfen.«
    Pauline drehte sich in die Richtung der Fremden, obwohl sie in völliger Dunkelheit lagen. » Hör mal gut zu, du blöde Kuh. Nur eine wird es lebendig hier herausschaffen, und die wirst nicht du sein. Hast du mich verstanden? Scheiße fließt den Hügel runter, und ich werde nicht die sein, die stinkt wie eine Kloake, wenn das alles hier vorbei ist. Kapiert?«
    Die Stimme der Frau war kaum mehr als ein Flüstern. » Du bist Atlanta Thin, nicht?«
    Pauline wurde die Kehle eng, als hätte man ihr eine Schlinge um den Hals gelegt. » Was?«
    »› Scheiße fließt den Hügel runter, und ich werde nicht die sein, die stinkt wie eine Kloake, wenn das alles hier vorbei ist ‹ «, flüsterte sie. » Du sagst das ziemlich oft.«
    Pauline kaute auf der Unterlippe.
    » Ich bin Mia-Three.«
    Mia – Slang für bulimia, Bulimie. Pauline erkannte den User-Namen, aber sie blieb stur. » Ich weiß nicht, wovon du redest.«
    Mia fragte: » Hast du denen in der Arbeit diese E-Mail gezeigt?«
    Pauline öffnete den Mund, versuchte, eine Weile einfach nur zu atmen. Sie überlegte sich, welche andere Sache sie der Pro-Anna-Internetgruppe erzählt hatte, die verzweifelten Gedanken, die ihr durch den Kopf geschossen und irgendwie auf der Tastatur gelandet waren. Es war fast wie eine Reinigung, nur dass man nicht den Magen leerte, sondern das Hirn. Jemandem diese grässlichen Gedanken, die man hatte, zu erzählen und zu wissen, dass die anderen ebenfalls solche Gedanken hatten, machte es irgendwie einfacher, jeden Morgen aufzustehen.
    Und jetzt war die Fremde plötzlich keine Fremde mehr.
    Mia wiederholte: » Hast du ihnen die E-Mail gezeigt?«
    Pauline schluckte, obwohl sie nur Staub in der Kehle hatte. Sie konnte nicht glauben, dass sie hier gefesselt herumlag wie ein verdammtes Schlachtschwein und diese Frau über die Arbeit reden wollte.

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