Sara Linton 01 - Tote Augen
gedreht hatte. » Was hast du getan? Zuvor, meine ich. Hast du den Kopf gegen die Wand gerammt?«
» Wenn ich die Gipsplatten durchstoßen kann, komme ich vielleicht raus. Es ist Bauvorschrift, dass die Stützbalken vierzig Zentimeter Abstand haben müssen.«
Mia klang beeindruckt. » Bist du nur vierzig Zentimeter breit?«
» Nein, du Blödmann. Ich kann mich zur Seite drehen und durchquetschen.«
Mia lachte über ihre eigene Dummheit, aber dann sagte sie etwas, und Pauline kam sich ebenso blöd vor. » Warum benutzt du eigentlich nicht deine Füße?«
Sie verstummten beide, aber Pauline spürte in sich etwas aufwallen. Ihr Magen zwickte, und sie hatte Gelächter in den Ohren, richtiges, schallendes Gelächter, als sie darüber nachdachte, wie blöd sie war.
» O Gott«, seufzte Mia. Auch sie lachte. » Du bist eine solche Idiotin.«
Pauline wand sich, versuchte, sich auf den Schultern zu drehen. Als sie senkrecht vor der Wand lag, zog sie die Knie an, presste die Füße fest zusammen, damit die Kette sie nicht behinderte, und trat zu. Die Gipsplatte gab schon nach dem ersten Versuch nach.
» Blödmann«, murmelte sie, aber diesmal zu sich selbst. Sie drehte sich wieder, bis sie das Gesicht an der Öffnung hatte, und riss die aufgeplatzten Gipsplattenstücke mit den Zähnen heraus. Der Staub war giftig, aber das war ihr egal. Lieber starb sie mit dem Kopf außerhalb dieses Raums, als dass sie darauf wartete, dass dieses Arschloch sich über sie hermachte.
» Hast du es geschafft?«, fragte Mia. » Bist du durch …«
» Schnauze«, blaffte Pauline und biss in die Schaumstoffisolierung. Er hatte die Wände schalldicht gemacht. Das war zu erwarten gewesen. Keine große Sache. Sie grub einfach die Zähne in das Material, riss Stück um Stück heraus, sehnte sich bereits nach dem Gefühl frischer Luft auf ihrem Gesicht.
» Scheiße!«, schrie Pauline. Sie drehte sich so, dass ihre Taille vor dem Loch lag. Sie streckte die Finger aus, doch sie reichten kaum an der Gipsplatte vorbei. Sie riss den Schaum heraus, doch dann berührten ihre Finger etwas, das sich anfühlte wie ein Gitter. Sie drückte den Rücken durch, streckte die Hände so weit in das Loch, wie es ging. Ihre Finger strichen über kreuzweise verlegten Draht. » Verdammt.«
» Was ist los?«
» Drahtgeflecht.« Er hatte die Wände mit Drahtgeflecht verstärkt, damit sie nicht ausbrechen konnten.
Pauline drehte sich wieder und stieß mit den Füßen gegen den Draht. Ihre Schuhsohlen trafen auf festen Widerstand. Das Drahtgitter gab nicht nach, aber der Rückstoß schob sie einige Zentimeter über den Boden. Sie rutschte wieder vor, drehte sich auf den Bauch und stemmte ihre schweißfeuchten Handflächen gegen den Beton. Pauline hob die Füße und trat mit aller Kraft zu. Wieder traf sie auf festen Widerstand, ihr Körper rutschte von der Wand weg.
» O Gott«, keuchte sie und drehte sich erneut auf den Rücken. Die Tränen kamen, die winzigen Spinnenbeine auf ihren Pupillen. » Was soll ich jetzt tun?«
» Kommst du mit den Händen hin?«
» Nein«, schluchzte Pauline. Mit jedem Atemzug floss die Hoffnung aus ihr heraus. Ihre Hände waren zu eng an den Gürtel gekettet. Das Drahtgeflecht war an der Außenseite der Stützbalken befestigt. Sie konnte es einfach nicht erreichen.
Pauline schluchzte so heftig, dass ihr Körper bebte. Sie hatte ihn seit Jahren nicht mehr gesehen, aber sie wusste noch immer, wie sein Hirn funktionierte. Dieser Raum hier war seine Probebühne, ein sorgfältig vorbereitetes Gefängnis, in dem er sie durch Aushungern unterwerfen wollte. Aber das war noch nicht das Schlimmste. Irgendwo würde es eine Höhle geben, ein dunkles Loch in der Erde, das er liebevoll mit den eigenen Händen gegraben hatte. Dieser Raum hier würde sie brechen. Die Höhle würde sie zerstören. Der Mistkerl hatte an alles gedacht.
Wieder einmal.
Mia hatte es geschafft, sich zu ihr zu schieben. Ihre Stimme war jetzt sehr nahe, beinahe schon über Pauline. » Sei still«, befahl Mia und stieß Pauline beiseite. » Wir benutzen beide unsere Zähne.«
» Was?«
» Es ist dünnes Metall, oder? Drahtgeflecht?«
» Ja, aber …«
» Wenn man es hin und her biegt, bricht es irgendwann.«
Pauline schüttelte den Kopf. Das war verrückt.
» Es reicht ja schon, wenn es an einer Stelle bricht«, sagte Mia, als wäre die Logik offensichtlich. » Nimm es einfach zwischen die Zähne und zieh es vor und zurück, vor und zurück. Irgendwann bricht es,
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