Sara Linton 01 - Tote Augen
bis wieder Motorenlärm verklungen war. » Sicher. Ich dürfte nicht länger als fünfundvierzig Minuten brauchen. Stimmt etwas nicht?«
Will schaute auf die Uhr am Armaturenbrett. » Wir sehen uns in fünfundvierzig Minuten.«
Er beendete den Anruf, bevor Tom noch weitere Fragen stellen konnte, aber auch, bevor er die Adresse der Coldfields bekommen hatte. Ihre Seniorenanlage dürfte nicht schwer zu finden sein. Die Clairmont Road erstreckte sich von einem Ende des DeKalb County zum anderen, aber es gab nur eine Gegend, die vorwiegend von Senioren bewohnt war, und das war die Nachbarschaft des Atlanta Veteran’s Administration Hospital. Will legte den Gang ein, fuhr wieder auf die Straße und dann weiter zur Interstate.
Beim Fahren überlegte sich Will, ob er Amanda anrufen und ihr sagen sollte, dass Max Galloway sie wieder einmal übers Ohr gehauen hatte, aber sie würde fragen, wo Faith war, und Will würde ihre Chefin nicht daran erinnern, dass Faith gesundheitliche Probleme hatte. Amanda hasste Schwäche in jeder Form, und was Wills Behinderung anging, war sie erbarmungslos. Man konnte nicht sagen, mit welchen Beschimpfungen sie Faith überschütten würde, weil sie Diabetikerin war. Will hatte nicht vor, ihr die Munition zu liefern.
Er konnte natürlich Caroline anrufen, die dann die Information an Amanda weitergeben würde. Er hatte das Handy in der Hand und hoffte, dass es nicht auseinanderfallen würde, während er die Nummer von Amandas Assistentin wählte.
Caroline nutzte ihre Anruferkennung. » Hi, Will.«
» Was dagegen, mir noch einen Gefallen zu tun?«
» Natürlich nicht.
» Judith Coldfield rief 9-1-1 an, und zwei Krankenwagen waren vor Ort, bevor die Polizei kam.«
» Das ist aber nicht korrekt.«
» Nein«, pflichtete Will ihr bei. Das war es wirklich nicht. Dass Max Galloway gelogen hatte, bedeutete, dass Will nicht mit dem ersten Polizisten vor Ort darüber sprechen konnte, was er sich am Unfallort notiert hatte, sondern dass er sich auf die Coldfields verlassen musste, um zu rekonstruieren, was sie gesehen hatten. » Sie müssen für mich den genauen zeitlichen Ablauf herausfinden. Ich bin mir ziemlich sicher, Amanda wird wissen wollen, warum sie so lange gebraucht haben.«
Caroline sagte: » Ihnen ist aber schon bewusst, dass ich in Rockdale anrufen muss, um die Reaktionszeit herauszufinden.«
» Versuchen Sie es mit Judith Coldfields Handy-Daten.« Wenn Will die dortige Polizei einer Lüge überführen könnte, wäre das eine weitere Waffe, die Amanda gegen sie verwenden konnte. » Haben Sie ihre Nummer?«
» Vier-null-vier …«
» Moment mal«, sagte Will, weil er dachte, es wäre sinnvoll, wenn er Judiths Nummer hätte. Er lenkte mit den Fingerspitzen, während er den Digitalrekorder aus seiner Tasche zog und einschaltete. » Okay.«
Caroline gab ihm Judith Coldfields Nummer. Will schaltete den Rekorder aus und hielt sich das Handy wieder ans Ohr, um ihr zu danken. Früher hatte er ein System gehabt, um sich die persönlichen Daten von Zeugen und Verdächtigen zu merken, aber mit der Zeit hatte Faith so ziemlich alles übernommen, was mit Papierkram zu tun hatte, sodass Will ohne sie verloren war. Beim nächsten Fall würde er das wieder ändern müssen. Von ihr abhängig zu sein, gefiel ihm nicht – vor allem, da sie schwanger war. Wenn das Baby kam, würde sie eine Weile außer Dienst sein.
Er rief Judith auf dem Handy an, bekam aber nur die Voicemail. Er hinterließ ihr eine Nachricht, rief dann noch einmal Faiths Nummer an und hinterließ ihr, dass er unterwegs zu den Coldfields sei. Er hoffte, dass sie ihn zurückrufen und ihm ihre Adresse an der Clairmont Road durchgeben würde. Er wollte Caroline nicht noch einmal anrufen, weil sie sich wundern würde, warum ein Agent sich das alles nicht irgendwo aufgeschrieben hatte. Außerdem hatte sein Handy angefangen, klickende Geräusche von sich zu geben. Er würde bald etwas tun müssen, um es zu reparieren. Will legte es behutsam auf den Beifahrersitz. Inzwischen wurde das Ding nur noch von einer Schnur und einem Stück sich ablösenden Isolierbands zusammengehalten.
Will drehte das Radio leise, als er in die Stadt hineinfuhr. Anstatt die innerstädtische Durchgangsstraße zu benutzen, fuhr er auf die I-85. Der Verkehr an der Ausfahrt zur Clairmont war stärker als gewöhnlich, deshalb fuhr er die längere Strecke am Peachtree-DeKalb Airport entlang und durch Viertel, die kulturell so unterschiedlich waren, dass auch
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