Sarg-Legenden
uns gerichtet.
Fremde, harte und entschlossene Gesichter, bis auf zwei. Es waren Averell Clifton und Jorge O’Leary. Sie hatten sich einen Schritt vor die Gruppe gestellt und starrten uns an. Was sie dachten, war ihnen nicht anzusehen, und Clifton redete erst, als wir stehenblieben.
»Ihr habt unseren Ratschlag nicht befolgt?«
»Warum sollten wir?«
»Dann wird euch das Haus fressen. Es wird zu einer Falle. Es ist eine Falle für die Feinde und die Lebenden.«
»Sind die Kilrains nicht tot?«
»Nein, sie leben.«
»Und wie?«
»Wir wissen es nicht. Wir finden uns nur damit ab. Jeder, der hier herumschnüffelt, bekommt es zu spüren. Aber jeder von uns kann sehen, daß ihr freiwillig in das Haus gehen wolltet. Wäre es anders gewesen, wir hätten euch gezwungen.«
Deutliche Worte, auf die Suko eine Frage einfiel. »Besorgt ihr Opfer für die Toten?«
»Man kann es so sehen.«
»Warum?«
Cliftons Gesicht verdüsterte sich. »Damit sie nicht erscheinen und einen von uns holen. Deshalb.«
Das also war es. Sie hatten Angst. Eine wahnsinnige Furcht vor den Mächten, mit denen sie nicht zurechtkamen. Sie hatten sie akzeptiert, aber sie fragten nicht, was dahintersteckte. Irgendwie konnte ich sie sogar verstehen.
»War noch niemand von euch im Haus?« fragte ich.
»Nein.«
»Feige?«
»Wir sind nicht lebensmüde«, erklärte Jorge.
Aus seiner Sicht hatte er sogar recht, aber wir mußten hinein, um diesen Fluch zu löschen.
»Was wird uns passieren?« fragte ich.
Averell Clifton grinste. »Niemand weiß es. Die Kilrains sind jetzt frei. Der Friedhof hat sie entlassen. Sie sind wieder in ihre alte Welt zurückgekehrt.«
»Die vier Personen?«
»Ja, vier Geschwister.«
»Und die Gestalt auf dem Friedhof? Die endgültig tote? Ihr habt sie doch gesehen.«
»Es war der alte Kilrain. Der Vater. Er hat sie alle mit in den Tod genommen. Seine Frau und seine Kinder. Aber er hat ihnen auch gleichzeitig das neue Leben geschenkt. Sie sind Geister und existieren als solche auch weiter. Sie führen jetzt ihr Leben in diesem Haus. Die Kilrains waren schon immer etwas Besonderes. In früheren Zeiten haben sie den Menschen hier Schutz gegeben, und heute ist es auch so. Nur eben ein wenig anders.«
Clifton glaubte tatsächlich, was er sagte. Mit den anderen verhielt es sich ebenso. Auch sie waren der Meinung, daß alles so stimmte und nichts anders war.
»Hat jemals ein Fremder schon überlebt, der das Haus hier betreten hat?« fragte Suko.
»Das wissen wir nicht.«
Ich blickte zum Himmel, der langsam eine dunklere Farbe bekam. Auch der Wind hatte zugenommen. Vom Friedhof her wehte uns ein lehmiger Geruch entgegen.
Suko machte den Anfang. Um die alte Tür zu erreichen, mußte er Jorge zur Seite schieben. Der Mann trat zurück, und wir sahen beide das verbissene Grinsen auf seinem Gesicht.
Jetzt lag das Haus frei vor uns!
Wir mußten schon sehr hochschauen, um das Dach sehen zu können. Es sah alt aus. An einigen Stellen war es eingerissen. Da fehlten die Schindeln. Das Mauerwerk schimmerte graugrün, und das Licht hatte zudem noch einen bläulichen Schimmer darauf gelegt.
Es gab zahlreiche Fenster, hinter denen allerdings kein Licht brannte. Zur Tür hoch führte keine Treppe. Nur eine fast mit Gras überwucherte Plattform breitete sich vor uns als Rechteck aus.
Die alte Tür hatte Wind und Wetter getrotzt, was allerdings auch Spuren hinterlassen hatte. Auch sie zeigte auf der Außenseite einen grünlichen Belag.
»Es ist offen!« rief Averell Clifton hinter uns.
Ich gab keine Antwort. Eine Klinke sah ich nicht. Dafür einen verrosteten Knauf. An meiner linken Seite bewegte sich Sukos Fuß an mir vorbei. Er trat gegen die Tür, die protestierend knarrte und dann leicht aufschwang.
Ich drückte sie tiefer nach innen.
Vor uns lag die düstere und totenkalte Welt des Kilrain-Clans…
***
Wie ein Tier kroch Bill Conolly über den Boden hinweg. Er war niedergeschlagen worden, aber er wußte nicht, wie lange er bewußtlos gewesen war. Irgendwann war er frierend erwacht. Er hatte die Kälte gespürt, aber auch die Feuchtigkeit, und er hatte – was noch schlimmer war –, mit sich selbst so wahnsinnige Schwierigkeiten gehabt. Der Kopf schien kurz vor dem Zerspringen zu stehen. Es waren Schmerzen, die ihn beinahe verrückt werden ließen. Hinzu kam die Dunkelheit, in der sich Bill nicht orientieren konnte. Schließlich war er wieder weggesackt.
Das zweite Erwachen war wesentlich später erfolgt. Zwar gab es
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