Sarg niemals nie
einfach auf dem Boden herumrollen.«
»Viel Bewegungsfreiheit hat er sowieso nicht«, überlegte John, während er den Platz zwischen den Bänken begutachtete. »Es ist ziemlich eng hier.«
»Dann hilf mir, ihn an die Wand zu setzen!« Wir zerrten Gustav hoch, bis er aufrecht saß, und lehnten ihn an die Wand der Kutsche. Nach einigem Geholper rutschte er jedoch nach unten. Ich fing ihn auf, ehe er ganz zu Boden ging.
»Ich möchte nicht mit einem Toten auf dem Schoß bis nach London fahren«, sagte ich. »Öffne das Fenster!«
»Willst du ihn etwa hinauswerfen?«
»Natürlich nicht. Ich will ihn nur … befestigen.« John entriegelte das Fenster über der Bank, worauf ich Gustav wieder aufrecht hinsetzte und seinen Kopf durch die Öffnung zwängte. Das Kinn blieb am Fensterrahmen hängen und hielt ihn aufrecht, auch wenn der Kopf bei jeder Erschütterung grotesk auf und ab hüpfte.
»Vielleicht sollten wir warten, bis wir die Stadt verlassen haben«, meinte John. Der Kopf vollführte wirklich die eigentümlichsten Bewegungen, während wir über die Pflastersteine ratterten.
»Niemand ahnt, dass er tot ist.« Ich zog den Vorhang über Gustavs Schultern. »Er ist bloß ein Betrunkener, der frische Luft schnappt.«
»Wahrscheinlich hast du recht.« John lehnte sich zurück. »Es ist wirklich komisch.«
»Was ist komisch? Der Tote im Fenster oder der Mann, der ihn getötet und geschworen hat, uns ebenfalls zu töten?«
»Weder noch«, antwortete John. »Ich meine unsere Beteiligung an diesem Fall. Wir fliehen vor einem Vampirherrscher und schleppen einen Toten mit uns herum. Vor vier Tagen waren wir noch ganz normale Leute, die sich mit ganz alltäglichen Angelegenheiten beschäftigten.«
»Vor vier Tagen saß ich im Gefängnis, was ganz und gar nicht meinem normalen Leben entspricht, und du warst im Grunde noch nie normal.«
»Mag sein«, gab John zu. »Aber du verstehst trotzdem, was ich meine. Wir waren normale Leute, bis das Schicksal eine höchst ungewöhnliche Ereigniskette für uns gewoben hat.«
»Das ist wahr«, räumte ich ein. »Jedenfalls reicht es zu der Überzeugung, dass die Welt einen Groll gegen mich hegt.«
»Irgendjemand tut das ganz gewiss«, stimmte John zu. »Aber es ist nicht die ganze Welt, sondern vor allem Harry Beard. Ich glaube nicht, dass die Welt überhaupt einen Groll hegen kann. Jedenfalls nicht die reale Welt.«
»Warum denn nicht?«, fragte ich. »Hättest du in den letzten Tagen die gleichen Vorwürfe einstecken müssen wie ich, dann sähst du das anders.«
»Nimm nur diese Kaninchen«, widersprach John. »Die Vampire halten sie, um ihr Blut zu trinken. Das ist etwas ganz anderes als bei der üblichen Zucht, bei der die Tiere geschlachtet und gegessen werden. Diese Kaninchen werden jeden Tag gegessen, aber sie kommen dabei nicht um, sondern kehren zu ihrem Salat zurück und produzieren neues Blut für die Vampire, um am nächsten Tag wieder angezapft zu werden. Das ist ein schreckliches Leben …«
»Ja, du hast überdeutlich erklärt, was du meinst.«
»… den Kaninchen macht es anscheinend nichts aus«, fuhr John fort. »In unserem Fall hingegen will nur ein einziger Vampir unser Blut trinken – und er hat es noch nicht einmal versucht. Wir aber planen schon seinen Tod. Wären Kaninchen so erbarmungslos wie Menschen, dann gäbe es in Bath bereits eine schreckliche Woge der Zerstörung.«
Die Kutsche wurde langsamer und hielt an, und ehe ich die Vorhänge öffnen konnte, hörte ich draußen schon Marys Stimme, die dem Kutscher etwas zurief.
»Danke«, sagte sie und öffnete die Tür. John streckte überrascht eine Hand aus und half ihr beim Einsteigen.Sie schloss die Tür und klopfte dreimal gegen die Wand der Kabine. Mit einem Ruck fuhren wir wieder an, und Mary setzte sich neben John.
»Gott sei Dank!«, rief sie atemlos. »Ich war schon in Sorge, ich würde Sie nicht mehr erwischen, ehe Sie die Stadt verlassen.«
»Wie haben Sie uns überhaupt gefunden?«, fragte ich.
»Ich habe den Kopf im Fenster erkannt.« Sie löste die Kordel ihres Huts und legte ihn auf die Knie. »Ein Glück auch, sonst wären Sie weggefahren, ohne davon zu hören.«
»Wovon denn?«, fragte ich. »Sie sollten doch mit Inspector Herring reden.«
»Dazu bin ich gar nicht gekommen«, berichtete sie. »Ich kehrte nach Hause zurück, um die Teile einzulagern, die ich aus dem Leichenhaus mitgenommen hatte, und da waren sie schon alle aufmarschiert.«
»Schrecklich«, sagte ich. »Wenn
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