Sassinak
sie es wünschten. Sassinak ertappte sich dabei, daß sie seinen Widerstand genoß, auch wenn sie klarstellte, daß seine Leute nach Föderationsrecht nicht mehr für sich beanspruchen konnten als das, was sie selbst hervorgebracht hatten: die Mine, die Felder, das Landegitter. Und sie riet ihm dringend dazu, daß sie sich von dem Frachter der Schwerweltler fernhalten sollten, wenn sie nicht den Verdacht erwecken wollten, an einer Verschwörung beteiligt zu sein.
Als sie ihm am Ende des Gesprächs die Hand hinhielt, fragte sie sich, ob er versuchen würde, sich ihr zu widersetzen. Wenn er so klug war, wie er ausssah -und wie er den Berichten zufolge sein mußte –, würde er sich zurückhalten. Und das tat er dann auch. Sein Griff um ihre Hand war nur etwas stärker als ihrer um seine, und er ließ ihre Hand los, ohne einen Wurf zu versuchen. Sie lächelte ihn an, erfreut über seine Manieren, und machte sich eine gedankliche Notiz, daß sie versuchen würde, ihn für den Flottendienst zu rekrutieren. Er würde einen fabelhaften Marine abgeben, wenn er sich so beherrschen konnte. Sie erklärte, daß sie Datenkuben über das FES-Gesetz, über Standardrechte und Verantwortlichkeiten jedes Bürgers, die Abschnitte über das Kolonialrecht und so weiter hinübergeschickt und daß sie gemäß den Schiffbruchstatuten verschiedene Gegenstände aus den Lagerräumen des Schiffs zur Verfügung gestellt hatte. Dann wurden die beiden Schwerweltler von einer Eskorte hinausgeführt, und Sass wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Varian zu.
Varian wäre offensichtlich lieber mit den Schwerweltlern gegangen, und Sass wunderte sich darüber. Warum war sie so fürsorglich? Die meisten Menschen in ihrer Position, sagte sich Sass, wären wohl eher geneigt gewesen, alle Schwerweltler in Ketten legen zu lassen. Hatte sie eine Art Zuneigung entwickelt? Sie betrachtete das Gesicht der jungen Frau, als sie ihr Angebot, Platz zu nehmen, akzeptierte und sich setzte. »Ein ziemlich bemerkenswertes Exemplar, dieser Aygar. Gibt es noch mehr wie ihn?« Sie ließ in ihrer Stimme mehr als einen Anflug von Sinnlichkeit mitklingen, und sah, wie sich Varians Wangen leicht röteten. Glaubte sie wirklich, daß ältere Frauen sich für solche Dinge nicht mehr interessierten, oder war es Eifersucht?
»Ich bin nur ein paar Vertretern seiner Generation begegnet.«
»Ja, seiner Generation.« Sassinak beschloß, noch etwas tiefer zu bohren. »Sie liegen jetzt dreiundvierzig Jahre hinter ihrer eigenen zurück. Brauchen Sie keine Beratung? Für sich und die anderen?« Sass wußte, daß sie darauf angewiesen waren, sah aber, daß Varian diese Möglichkeit von sich wies. Erkannte sie die Wahrheit nicht oder war sie nicht willens, vor einer Fremden eine Schwäche einzugestehen?
»Ich werde es erfahren, wenn ich zu ihnen zurückkehre«, sagte Varian gerade. »Ich habe damit noch keine Probleme gehabt.«
Doch, schon, dachte Sassinak, zumindest teilweise, bewunderte die Frau aber dafür, daß sie es abstritt. Und was hatte all das mit Lunzie zu tun? Aus irgendeinem Grund war Sass nicht halb so besorgt um sie. Varian erkundigte sich noch einmal nach dem ARCT-10, so als habe Sassinak anfänglich gelogen. Eine zivile Reaktion, dachte Sass; sie log nie ohne triftigen Grund und kam gewöhnlich darum herum. Jemand trat ein und berichtete, daß Varians Schlitten repariert worden sei, und Sass brachte das Gespräch zum Abschluß. Wegen Vorräten – natürlich konnte eine Planetengouverneurin alles anfordern, was sie brauchte – würde sie Ford verständigen. Sass wußte, daß er froh sein würde, wenn er von dem Plateau wegkäme und Gelegenheit hätte, sich etwas von der exotischen Fauna anzusehen. Aber jetzt …
»Ihre Medizinerin heißt doch Lunzie, richtig?« fragte sie. Varian schüttelte leicht verwirrt den Kopf. Sass ließ ihr Lächeln breiter werden und freute sich schon auf den Volltreffer, den sie gleich landen würde. »Ich nehme an, es war unvermeidlich, daß einer von uns ihr irgendwann begegnen würde. Gegen eine Feier haben Sie doch sicher nichts einzuwenden. Würden Sie Lunzie bitte meinen tiefsten Respekt ausdrücken?« Varians Gesicht erweckte den Eindruck, als könne sie jeden Moment in Lachen ausbrechen; es drückte völlige Verwirrung und Ungläubigkeit aus. »Ich kann mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, Lunzie kennenzulernen«, schloß Sass. »Es kommt nicht oft vor, daß man die Möglichkeit hat, die eigene Urururgroßmutter zu begrüßen.«
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