Satanica
schwieg ansonsten, und dieses Schweigen setzte sich noch fort.
Irgendwann wurde es mir zuviel. Ich fragte Suko: »Was ist los? Bist du stumm geworden?«
»Das nicht, John.«
»Aber…?«
»Ich denke nur an die bevorstehende Nacht. Die kann gefährlich genug werden. Auch für uns.«
Als Antwort erhielt er nur ein Nicken, denn ich stimmte ihm in allen Punkten zu…
***
Satanica hatte ihr Versteck verlassen, war durch den Wald gegangen und stand nun am Rand des Friedhofs, um über ihn ihre Blicke schweifen zu lassen.
Sie spürte, daß ihre Zeit kam. Das Gelände hatte sich äußerlich nicht verändert. Trotzdem war es anders geworden und ausschließlich für sie spürbar. Die alten Gräber und Gewächse traten noch schärfer und konturierter hervor. Der Friedhof wirkte wie eine Bühne, deren Aufbauten lange Zeit im Keller darunter versteckt waren und erst später wieder hochkamen. So unwirklich, so anders, insgesamt grau, wie ein Relikt aus der Vergangenheit oder eben wie ein Bühnenbild, das einfach in die Welt gestellt worden war.
Der Wind war fast eingeschlafen. Nur als schwache Brise war er hin und wieder zu spüren. Dann strich er über die Gräser hinweg und kämmte ihre Spitzen. Sie zitterten dabei wie Spinnweben.
Noch herrschte Ruhe auf dem Friedhof, und das würde auch noch eine Weile so bleiben. Der Zeitpunkt war noch nicht da, aber die anderen wußten Bescheid. Sie hatten sich lange genug auf den Abend und die folgende Nacht vorbereiten können.
Satanica schlug den Weg zu ihrem ›Grab‹ ein. Sie ließ sich dabei Zeit und schaute sich um, als wollte sie Abschied nehmen von ihrer stillen Totenwelt. Sie streichelte hin und wieder einen Grabstein oder schob sperrige Buschzweige zur Seite, die ihr den Weg versperren wollten.
Die Gräber waren ihre Freunde. Zeichen des Todes, der Vergänglichkeit.
Mahnmale an die Lebenden, die irgendwann ebenfalls unter der Erde liegen und vermodern würden.
Man hatte den Friedhof vergessen. Vielleicht würde man ihn eines Tages wieder entdecken und ihn dann als Kulturgut einstufen. Das aber konnte lange dauern. Bis es soweit war, würde sie ihr Zeichen gesetzt haben.
Satanica erreichte ›ihr‹ Grab. Den Ort, den sie sich für ihre Beschwörungen ausgesucht hatte. Sie war nicht allein, denn auf dem Boden lag der kopflose Körper ihres Bruders.
Mit starren Augen blickte sie auf den Torso hinab. Sie empfand kein Mitleid, denn sie hatte sich nicht grundlos von ihm getrennt. Er war seinen Weg gegangen, sie ihren. Einige Male hatte sie ihn darauf angesprochen, aber keine Reaktion erhalten. Das lag schon länger zurück, bevor sie sich für die Vergangenheit interessiert hatte.
Perry und sie waren eben zu unterschiedlich gewesen. Der Kontakt zwischen ihnen war abgebrochen und konnte auch nicht durch die Eltern gehalten werden, denn beide lebten nicht mehr. Allerdings waren sie auf einem anderen Friedhof begraben worden.
Er hatte sie dann gefunden. Schicksal? Zufall? Darüber wollte sie jetzt nicht mehr nachdenken, denn ihr Bruder lag kopflos zu ihren Füßen.
Satanica lächelte. Sie konnte sich auf ihre Freundinnen und Dienerinnen verlassen.
Köpfe für die Göttin. Anat hatte damals die Köpfe ihrer Feinde gesammelt und sie wie Trophäen aufbewahrt. Diesen Weg wollte Satanica auch gehen, und der Anfang war mit dem Kopf ihres Bruders gemacht worden.
Hier gab es ihn nicht mehr. Ihre Mitstreiterin hatte ihn an einen besonderen Platz geschafft, wo auch die anderen Köpfe ihrer Feinde aufgestellt werden sollten.
In der alten Leichenhalle. Sie sollte zu einem Kopf- oder Schädelhaus zu Ehren der Göttin werden.
Satanica hätte eigentlich zufrieden sein können. Daß sie es nicht wahr, ärgerte sie selbst, aber sie konnte nichts dagegen unternehmen. Ihr Inneres war aufgewühlt, sie kam selbst damit nicht zurecht, und sie dachte an die Gefahr, die möglicherweise auf sie zukam.
Gefahr?
Zum erstenmal seit langer Zeit dachte sie über dieses Wort näher nach.
Wer sollte und konnte ihr denn gefährlich werden? Ihr Bruder war gekommen und hatte es nicht geschafft. Andere vielleicht? Da war noch jemand bei ihm gewesen, aber dieser Typ war schnell verschwunden.
Sie kannte ihn nicht, aber sie hatte ihn schon des öfteren auf dem Friedhof gesehen und ihn auch akzeptiert, weil er ihr nicht gefährlich werden konnte. Ein kleiner Dealer, der ein Versteck für seinen Stoff gesucht und auch gefunden hatte.
Wenn sie tatsächlich eine Gefahr erwartete, dann mußte sie einfach
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