Satanica
stellen.
Es begann eine Prozession der Schattenfrauen, die sich über das Gelände bewegten. Schweigende Gestalten, die sich durch eine ebenfalls schweigende Welt bewegten, in der sich Licht und Schatten abwechselten, wobei sich die Helligkeit der Flammen immer stärker hervorkristallisierte, denn die Dunkelheit nahm zu. Bald würde es schwarze Nacht um sie herum sein.
Die Grabsteine als stumme Wächter blieben. Aber das ungewöhnliche Licht schien sie lebendig zu machen. Bewegungen entstanden. Schatten drückten sich tief und fest in das Gestein hinein. Über die Graberde huschten schwache Lichtreflexe und verloren sich dann an den Grabrändern.
In den Bäumen tanzte das nach oben wegfließende Restlicht der Kerzen. Auch sie wurden aus der Dunkelheit hervorgeholt und bekamen das Aussehen düsterer, mächtiger und dabei mitten in der Bewegung erstarrter Gespenster.
Eine Szenerie der Furcht, der Beklemmung hatte sich ausbreiten können. Keine fremden Geräusche unterbrachen oder störten die Frauen. Sie waren unter sich und kannten nur ein Ziel.
Satanica wartete bereits an ihrem Platz. So kannten die Frauen ihre Herrin. Auf einer mit einem aus Blut gezeichneten Sigill versehen, hatte sie ihren Lieblingsort gefunden. Umrahmt von vier brennenden Kerzen, vor sich die Schale mit dem Blut. Hineingetaucht die Messerklinge. Beide Beine hatte sie angezogen und ihre verschränkten Arme auf die Knie gelegt.
Die anderen Frauen blieben stehen. Vor dem Grab bildeten sie eine Mauer aus Leibern. Eine Mauer des Schweigens.
Dreizehn Frauen, die auf das Schicksal warteten, das über sie herfallen würde. Sie schwiegen.
Auch Edda sprach nicht, denn sie wußte genau, daß Satanica das erste Wort gebührte.
Die Nachfolgerin der Göttin sagte zunächst nichts. Sie hatte den Kopf nur leicht angehoben und schien den Anblick der Dienerinnen zu genießen und in sich hineinzusaugen. Die Lippen lagen aufeinander und leuchteten rötlich. Ob sie mit Blut befleckt waren oder ob der Schein der Kerzen daran die Schuld trug, war für die Frauen nicht zu erkennen.
Jede von ihnen fühlte sich von den dunklen und glänzenden Augen angestarrt und konnte den Blick nicht mehr halten.
Satanica ließ eine schier endlose Zeit verstreichen, bis sie sich regte. Mit der rechten Hand stützte sie sich an der Grabplatte ab und stand auf.
Nichts wirkte an ihr verkrampft. Die Bewegung war geschmeidig gewesen, und sie blieb auch locker stehen.
»Ich danke euch«, sagte sie. »Ich danke euch, daß ihr gekommen sein, um bei mir zu stehen, wenn sich die Hölle und die Göttin aus der Vergangenheit in mir treffen und sich vereinigen. Es wird das Fest der Feste werden. Ich weiß, daß Anat schon wartet. Sie spürte sie. Ihr Geist umweht mich, ich empfange ihre Botschaften, und ich bin froh darüber, daß ich sie auch verstehen kann.«
»Wir haben dir zu danken«, sagte Edda. Sie sprach für die anderen Frauen gleich mit. »Wir haben dir deshalb zu danken, daß du uns ausgesucht hast. Denn nur so kriegen wir die Chance, die Macht zu bekommen, von der wir bisher immer nur geträumt haben. Ein langer Weg der Vorbereitungen liegt hinter dir und uns. Jetzt sind wir überzeugt, daß wir das Ende des Wegs erreicht haben.«
»Das habt ihr, meine Freundinnen. Diese Nacht ist entscheidend. Da werden wir die Früchte ernten. Da wird sich Anat durch mich zeigen.«
Sie blickte zum dunklen Himmel. »Und ich werde endlich die Chance bekommen, den Geliebten der Göttin erfahren zu dürfen. Mich dürstet nach Baal«, sprach sie. Dabei hatte sich ihre Stimme verändert und war mehr zu einem Röhren geworden.
Die Frauen schwiegen. Sie waren keine Expertinnen wie Satanica, aber sie wußten sehr, gut, was der Name Baal zu bedeuten hatte. Ein Kultgott, einer, den die abtrünnigen Israeliten verehrt hatten, denn ihm zu Ehren hatten sie das goldene Kalb erschaffen, das sie dann umtanzten.
Baal war etwas Besonderes. Er war der uralte Gott aus vorchristlicher Zeit, und er hatte seine Faszination bis in die Gegenwart hinein nicht verloren.
Satanica trat einen Schritt zurück, damit sie von oben herab direkt auf das Wagenrad aus Blut schauen konnte. Tierblut hatte sie als Farbe genommen. Sie hatte das Blut so dick wie möglich aufgetragen, und auf der Oberfläche schimmerte es wie glänzender Lack. Lächelnd schaute sie in die Tiefe. Dann wischte sie über ihr Gesicht und schaute wenig später gegen die grauen Gesichter ihrer Dienerinnen vor dem Grab.
»Ich werde Anat jetzt
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