Satanica
Lichtschein, der nicht starr war, sondern sich bewegte, weil der leichte Wind mit den Flammen spielte und sie entsprechend bewegte.
Edda, die noch immer an der Spitze ging, blieb stehen und drehte sich um. »Satanica ist schon da«, sagte sie und lächelte. »Sie erwartet uns. Wir sollten sie nicht enttäuschen.«
Die Frauen nickten.
»Dann verteilt euch.«
Widerspruchslos wurde Edda gehorcht. Es klappte wie geübt. In verschiedene Richtungen gingen die Frauen weg und nahmen ihre Taschen mit. Sie tauchten ein in die Lücken zwischen den Hecken und den Gräbern mit den hohen Steinen.
Es sprach niemand. Das Ritual war zuvor genau besprochen worden, und so handelten sie auch.
Der Inhalt ihrer Taschen bestand aus dicken Kerzen und Einwegfeuerzeugen. Kerzenlicht sollte dem Friedhof einen festlichen Glanz verleihen und das große Ritual fördern. So war es vorgeschrieben, und daran würde sich jede Frau strikt halten.
Nur Edda nicht. Sie war die Aufpasserin.
Überall hatten die dicken Kerzen ihre Plätze gefunden. Es gab kaum ein Grabmal, das von ihnen nicht mit mindestens vier Kerzen geschmückt wurde.
Der vergessene Friedhof bekam einen neuen, ihm zustehenden Glanz.
Das warme Licht bewegte sich. Nie brannten die Flammen ruhig, und so war es unvermeidlich, daß das Spiel von Licht und Schatten den Betrachter faszinierte. Tanzend wischte es über das alte Gestein hinweg, das gelblichrot angehaucht wurde.
Es war nicht mehr der alte Friedhof. Das Licht hatte ihn zu einer völlig anderen Bühne gemacht. Die tiefen Schatten waren verschwunden, sie hielten sich nur noch an den Stellen, an die der Schein nicht heranreichte. Dort sah der Friedhof dann aus, als wäre er in einer ewigen Tiefe verloren.
Edda kontrollierte ihre Freundinnen genau. Erst als die letzte Kerze entzündet war, war sie zufrieden und blieb neben dem Grabstein stehen und auch der Person, die den Docht angezündet hatte. Die Frau war kleiner und hatte einen Glatzkopf. Stoppelreste wuchsen auf dem Kopf wie ein Schatten.
»Du bist zufrieden, Edda?«
Die Angesprochene lächelte. »Frag nicht, ob ich zufrieden bin, frag lieber nach der Göttin, ob sie es ist. Denn dieses Licht wird sie herlocken.«
»Wir hoffen es alle.«
»Eure Hoffnung wird sich erfüllen, das kann ich euch versprechen. Es ist alles vorbereitet.« Edda sprach nicht mehr weiter und ging auf einen in der Nähe stehenden Grabstein zu, auf dem keine Kerze stand. Doch nicht alle Grabsteine waren geschmückt worden, einen davon erkletterte Edda. Nun stemmte sie die Hände in die Hüften. So hatte sie die Haltung einer Königin angenommen und schaute sich um.
Der Friedhof hatte sein festliches Kleid übergestreift bekommen.
Die Lichter würden weit in die Nacht hineinleuchten, wenn es einmal dunkel geworden war. Vielleicht wurden sie auch gesehen, aber es würde sich kaum jemand darum kümmern.
Ein Meer aus Lichtern. Jede Flamme leuchtete für sich, und jede Flamme schien der Geist eines Verstorbenen zu sein.
Etwas Schöneres gab es nicht für Edda, und auch Satanica würde zufrieden sein. Es war genau die Kulisse, die sie brauchte, um den Schulterschluß mit den Mächten der Vergangenheit und der Hölle durchzuführen und ihn zu bestätigen.
Sie selbst würde sich hingeben und ihren Namen Satanica vergessen.
Sie wollte dann zu Anat werden, aber im Prinzip Satanica bleiben, nur eben mit der Kraft und Macht der alten Kriegsgöttin ausgestattet.
Edda war zufrieden. Einen letzten Blick hatte sie noch dort hingeschickt, wo ihre gemeinsame Herrin ihren Platz eingenommen hatte. Dort leuchteten ebenfalls Lichter. Sie bildeten ein Viereck, was genau zu erkennen war.
Vier Kerzen am Rand der Opferstätte. Und die anderen würden den fremden Mächten den Weg weisen.
Edda verließ ihren etwas luftigen Platz. Sie landete auf der weichen Graberde. Die anderen Frauen waren zu ihr gekommen und umstanden sie wie Bewacherinnen.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte sie und gestattete sich ein breites, zufriedenes Lächeln.
»Können wir jetzt zu ihr?« fragte jemand aus der Runde.
»Ja, das können wir. – Laßt uns gehen!«
Sie freuten sich, aber sie zeigten es kaum. Sie blieben ruhig, nur der Ausdruck ihrer Gesichter veränderte sich. Sie lächelten. Ihre Augen bekamen einen bestimmten Glanz, in dem sich die Vorfreude auf das Kommende zeigte.
Edda übernahm wieder die Führung. Sie war längst von den anderen Frauen akzeptiert worden. Keine wagte es, ihren Führungsanspruch in Frage zu
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