Satans Erbe (German Edition)
aussprechen konnten. Als jüngstes und neustes Mitglied der »Ophiten« fiel mir die Aufgabe zu, den Altarraum wieder herzurichten. Das nahm ich mir für morgen früh vor. Ob ich danach zur privaten Scuola Elementare ging, wusste ich noch nicht, schließlich hatte ich in den Sommerferien wesentlich mehr Italienisch und andere Sachen gelernt als in den Monaten zuvor.
Wie jeden Tag schlenderte ich nach Sonnenuntergang zur Santa Pudenziana, wo Papa arbeitete. Er restaurierte den Glockenturm. Ich hatte in meinem Leben so viele Kirchen, Basiliken, Kathedralen und Kapellen gesehen, dass ich schrie und tobte, als er mir vor einem Jahr erzählt hatte, wie viele es davon in Rom gab und dass er dort einen Job angenommen hatte. Es fiel mir zwar inzwischen leicht, mich in neue Klassen einzugewöhnen, mir Respekt bei den Jungen und bewundernde Blicke der Mädchen zu verschaffen, dennoch hasste ich »umziehen«. Jetzt allerdings fühlte ich mich zum ersten Mal richtig wohl in Rom. Das Wetter war wesentlich besser als in Hamburg, Kiel, Amsterdam oder Winzenheim, wo ich vor Langeweile fast eingegangen wäre.
Ich drückte die Flügeltüren auseinander. Diese waren sinnloserweise für einen Elefanten oder eine Giraffe errichtet worden, aber nicht für einen normalwüchsigen Menschen. Meine Schritte hallten. Die vielen Rundbogen, die hohe Decke und das Buntglas wirkten nicht mehr auf mich, egal, wie prunkvoll alles gestaltet war. Ich fühlte mich in einem alten, schäbigen Keller wohler. Obwohl die Kühle hier angenehm war.
»Aria! Villano!«
Ich warf dem vor Staub grauen Mann einen vernichtenden Blick zu. War der neu? Oder einfach nur blind? Dreist, mich Flegel zu nennen und hinausschmeißen zu wollen.
»Mi chiamo Simon Förster!«
Das musste genügen. Und es genügte. Der Arbeiter brummte eine Entschuldigung und zeigte schräg durch die Decke in den Himmel, offenkundig auf den Glockenturm.
Egal, wo mein Vater arbeitete, er genoss einen guten Ruf. Er war tüchtig, begabt und verlässlich. Vor allem war er pünktlich, was man von den Gammlern hier nicht sagen konnte, wie Papa vor wenigen Wochen am Frühstückstisch erzählt hatte.
Ich trat in die abendliche Wärme und stellte mich an die Stelle, von der aus ich den Glockenturm sah. Mein Pfiff gellte über den Platz. Einige Passanten zuckten zusammen, blieben stehen und entrüsteten sich. Ich blickte ihnen frech in die Augen. Das reichte meist aus, dass sie den Kopf senkten und davoneilten.
Mein Vater erschien im oberen Teil des Turmes. Er hielt eine Lampe vor seine freie Hand und gab mir mit Handzeichen zu verstehen, dass er noch eine Stunde benötigte – ich solle nach Hause gehen. Ich winkte ihm zu, dass ich verstanden hatte, und verließ den Platz.
Unsere Zeichensprache beherrschte ich, seitdem ich nur noch meinen Vater hatte, ihn begleitete, wohin seine Arbeit ihn führte. Ich war fünf, als wir sie erfanden, weil Papa oft unerreichbar fern für mich war.
Verärgert stromerte ich nach Hause. Eigentlich wollte ich mit ihm meine Aufnahme bei den »Ophiten« feiern. Ich hätte zwar nicht alles über sie erzählt, aber bei Hühnchen und Rotwein konnten wir gemeinsam auf den Putz hauen, auch ohne einen Anlass zu haben.
Doch nun hatte ich keine Lust mehr, etwas zu erwähnen. Seine Arbeit ging wie immer vor.
Ich erklomm die steile Außentreppe, die, die er mir zu benutzen verboten hatte, schob das sperrige Fenster nach oben und schlüpfte in unsere karge, schwüle Wohnung. Meine Schuhe und das blutbesprenkelte Halstuch landeten neben dem Sofa. Ich kniete nieder und schlug auf eines der Bodenbretter, sodass das gegenüberliegende Ende emporflog. Grinsend hob ich eine Lambruscoflasche heraus und legte das Brett zurück auf das Loch, das voller Spinnweben war.
Ich schmiss mich auf die Couch und genehmigte mir einen Schluck nach dem anderen. Anfangs schmeckte das Zeug widerlich, aber die Schwerelosigkeit, die Ideen, die einem kamen und das coole Gefühl in der Lendengegend waren einfach mitico …
Mein Magen knurrte, doch ich wollte nicht aufstehen. Den Fernseher hätte ich angemacht, aber mein Vater konnte natürlich wie immer keine Zeit finden, einen zu besorgen. Ich griff unter das Sofa und zog einen verstaubten Stapel Zeitschriften hervor. Darauf lag ein dickes schwarzes Buch. Ich kicherte, obwohl ich entsetzt war. Was hatte ich mir vorgemacht, mein Alter restaurierte Kirchen.
Das Wort klang in meinem Kopf wie Kirschen … und mein Magen rebellierte. Ich wollte das
Weitere Kostenlose Bücher