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Satori - Winslow, D: Satori - Satori

Titel: Satori - Winslow, D: Satori - Satori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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zu beruhigen. Als Louis herüberkam, erzählte sie ihm jedoch nichts von der Begegnung, aus Angst, er könne töricht sein und den Ritter spielen.
    Zwei Tage später wurde Louis verhaftet.
    »Es war wie in einem Roman von Zola«, erzählte Solange Nikolai nun, den Kopf an seiner Schulter. »Einem der schlechteren.«
    Sie sagte es voller Ironie, verzichtete auf Selbstmitleid, doch Nikolai hörte den tief vergrabenen Schmerz in ihrer Stimme, als sie mit ihrer Erzählung fortfuhr.
    Sie hatten Louis auf frischer Tat ertappt – ihn auf seinem Fahrrad angehalten und die verschlüsselten Nachrichten in den Anatomietexten gefunden. Sie warfen ihn in den Keller des Gestapogebäudes, wo Höger ihn bearbeitete. Der gut aussehende Junge sah schon bald nicht mehr gut aus. Doch Louis war tapfer, loyal und engagiert, und er weigerte sich, Namen zu nennen, was ihm schon bald zum Verhängnis wurde.
    Solange erfuhr davon am Nachmittag. Sie ging in ihr Zimmer und weinte, dann wusch sie sich das Gesicht, kämm te sich das Haar und zog ihr bestes Kleid an, prüfte ihr Aussehen, und öffnete die beiden obersten Knöpfe, um den Blick auf ihr Dekolleté freizugeben. Vor dem Spiegel im Schlafzimmer ihrer Mutter schminkte sie sich, so wie sie es bei den Huren gesehen hatte.
    Dann ging sie zur Hauptvertretung der Gestapo und bat, Oberst Höger sprechen zu dürfen.
    Als sie in sein Büro geführt wurde, stellte sie sich vor seinen Schreibtisch, zwang sich, ihm in die Augen zu sehen, und sagte: »Wenn Sie Louis Duchesne freilassen, werde ich mich Ihnen hingeben. Jetzt und wann immer Sie es wünschen. Auf jede Weise.«
    Höger sah sie an und blinzelte.
    Solange sagte: »Ich weiß, dass Sie mich wollen.«
    Er brach in schallendes Gelächter aus.
    Höger lachte, bis ihm die Tränen über die fleischigen Wan gen liefen. Dann nahm er ein Taschentuch aus der Tasche, wischte sich die Augen und stand auf. »Raus aus meinem Büro, du freche Göre. Glaubst du, ich riskiere meine Karriere und verrate mein Vaterland, nur für die Ehre, dir die Kirsche zu entkernen?«
    Solange ließ sich nicht unterkriegen. »Darf ich ihn sehen?«
    »Gewiss«, entgegnete Höger. »Du kannst ihn hängen sehen. Donnerstagmittag.«
    Auf dem Exekutionspodest baumelten fünf Schlingen, um die sich schweigend eine Menschenmenge bildete. Wenig später fuhr ein deutscher Militärlaster vor. Soldaten sprangen von der Ladefläche und zerrten fünf zum Tode verurteilte Gefangene herunter.
    Louis war der Letzte, den sie holten.
    Es hatte nichts Romantisches, nichts Heldenhaftes. Er war übel zugerichtet. Willenlos und benommen, die Hände auf den Rücken gebunden, wurde er auf das Podest gezerrt. Als er von dort oben in seinem blutverschmierten weißen Hemd und der schmutzigen braunen Hose verständnislos in die Menge blickte, fragte sich Solange, ob er wohl nach ihr Ausschau hielt.
    Ich hätte mich ihm hingeben sollen, dachte sie. Ich hätte ihn rückhaltlos lieben sollen. Ich hätte ihn in mir empfangen, mich an ihn schmiegen und nie wieder loslassen sollen.
    Ein Soldat schritt die Reihe ab. Als er zu Louis kam, zog er grob seinen Kopf herunter, legte ihm die Schlinge um den Hals und bückte sich, um ihm die Füße zusammenzubinden. Auf Befehl des Oberst bekamen die Verurteilten keine Kapuzen über die Köpfe gezogen.
    Louis stand die Todesangst ins Gesicht geschrieben.
    Die anderen Soldaten bildeten eine Reihe zwischen der Menge und dem Hinrichtungspodest für den Fall, dass jemand versuchen sollte, einzugreifen oder die Gehängten an den Beinen zu ziehen, damit das Genick brach und sich ihr Leiden verkürzte.
    Solange zwang sich hinzusehen.
    Ein Offizier brüllte einen Befehl.
    Metall krachte auf Holz und Louis fiel.
    Sein Hals zuckte und er hüpfte auf und ab. Er baumelte hin und her – seine Beine zappelten, seine Augen traten aus ihren Höhlen, seine Zunge hing ihm obszön aus dem Mund, während sein Gesicht erst rot und dann blau anlief.
    Endlich – es kam ihr vor wie eine Ewigkeit – blieb er unbeweglich hängen.
    Solange ging durch die Menge davon.
    Sie hörte die Stimme eines Mannes sagen: »Er war ein Held.«
    »Was?«
    Es war der Bahnschaffner Patrice Reynaud, der mit Louis befreundet gewesen war. Patrice ging weiter und sagte noch einmal: »Dein Louis war ein Held.«
    ›Dein Louis‹, dachte Solange. Wenn ich ihm doch nur erlaubt hätte, mein Louis zu sein.
    Noch in derselben Nacht ging sie zum Haus von Madame Sette und betrat deren kleines Büro.
    »Ich bin

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