Satori - Winslow, D: Satori - Satori
Blut vergossen habe.«
Solange konnte die Beschämung in seinem jungen Gesicht sehen. Und wirklich, das Töten war das Ende der Jugend. Sie wusste, dass jeder anständige Mensch, der eine Seele in sich spürte, es verabscheute, anderen das Leben zu nehmen. Und sie wusste, dass sie ihm seinen Schmerz nicht nehmen, sondern ihn nur mit ihm teilen konnte. Sie konnte ihm zeigen, dass er kein Ungeheuer, sondern ein Mensch mit Fehlern war, der versuchte, in einer fehlerhaften Welt zu überleben.
»Denkst du«, fragte sie, »ich habe so etwas noch nie gesehen?«
Mit dem Kopf auf seiner Brust, seinen Arm um sie geschlungen, erzählte sie ihm ihre Geschichte.
Sie war ein wunderschönes Kind gewesen, der Stolz des ganzen quartier . Schon als kleines Mädchen war sie wegen ihrer wunderschönen Haut, ihrer Augen, ihres Haars, des perfekten Körpers etwas ganz Besonderes gewesen. Als sie älter wurde, warfen ihr die Männer aus dem Viertel verschämte, verstohlene Blicke zu, während die Fremden in der Stadt meist weniger höflich waren und ihrem Begehren mit drastischen Worten Ausdruck verliehen.
Doch Mama wachte streng über die Tugend ihrer Tochter. Sie schickte Solange zu den Nonnen, um ihr eine religiöse Ausbildung angedeihen zu lassen, und ging jeden Sonntag und an allen christlichen Feiertagen mit ihr in die Kirche. Vor allem aber gab sie sich große Mühe zu verhindern, dass Solange erfuhr, woher das Geld für ihre hübschen Kleider und Schuhe kam.
Manchmal blieb ein bisschen Geld übrig, so dass Solange ins Kino gehen konnte, und dann saß sie in der herrlich kühlen Dunkelheit, verfolgte die silbrigen Fantasien, die sich vor ihr abspielten, und träumte davon, eines Tages selbst Schauspielerin zu werden.
Alle sagten, dass sie gewiss hübsch genug dafür sei.
Aber ihre Mutter missbilligte diesen Wunsch – Schauspielerinnen waren nicht viel besser als Huren.
Solange lernte Louis bei einem gemeinsamen Ball ihrer beiden Schulen kennen und fand ihn schrecklich attraktiv. Er war groß und schlank, hatte gewelltes, braunes Haar und warme braune Augen, und er war intelligent und charmant. Als Sohn eines bekannten Stadtarztes war er relativ reich, aber dessen ungeachtet ein leidenschaftlicher Kommunist.
Gleichzeitig entwickelte er eine Leidenschaft für Solange. Er hatte sie aufrichtig gern, konnte sich aber nicht enthalten, ihre Tugendhaftigkeit auf die Probe zu stellen, wenn sie unter Bäumen, an den Ufern des Kanals, im Kino oder bei ihm zu Hause saßen und seine Eltern, was selten genug vorkam, nicht daheim waren, oder sie sich gemeinsam bei ihr in der Wohnung aufhielten, während ihre Mutter »ausgegangen« war.
Mama war entsetzt, dass Solange zu einer solchen Schönheit herangewachsen war. Sie war stolz, ja, aber vor allem auch ängstlich, und so begann sie, ihrer Tochter unablässig Vorträge über die Lasterhaftigkeit der Männer zu halten. »Sie wollen nur Sex«, wetterte sie, »und dein lieber Louis ist keine Ausnahme. Aber gib nicht nach – nur eine salope schläft vor der Ehe mit einem Mann.«
Eines Abends kamen Louis und Solange auf einem ihrer Spaziergänge an einem großen vierstöckigen Gebäude vorbei.
»Was ist das?«, fragte sie.
»Das ist ein Bordell«, sagte Louis genau in dem Moment, als die Tür aufging und Solange ihre Mutter zum Rauchen aus der Tür treten sah. Ihre schwarzen Haare waren zerzaust, ihre Lippen aufgequollen. Sie zündete eine Zigarette an, drehte sich um und erblickte Solange.
»Geh nach Hause!«, rief sie mit überschlagender Stimme. »Bitte, Solange, geh.«
Aber Solange stand da wie benommen.
Schließlich nahm Louis sie am Arm und führte sie fort.
Wenige Monate später hatten die Alliierten Nordafrika eingenommen, und bald darauf stießen die Nazis bis in den Süden Frankreichs vor. Deutsche Soldaten besetzten die Stadt, die Polizei half ihnen beim Aufspüren von Juden, die Résistance organisierte sich und die Gestapo kam, um sie wieder aufzumischen.
Leiter der Gestapo in Montpellier war ein gewisser Oberst Höger, und eines Nachmittags, als er vor der Tür seines Hauptquartiers stand, um die Sonne zu genießen, kam er auch in den Genuss des Anblicks von Solange.
»Sieh dir nur dieses Geschöpf an«, sagte er zu seinem Hauptmann. »Was glaubst du wohl, wie alt sie ist?«
»Sechzehn? Siebzehn?«
»Dieses Gesicht«, sagte Höger, »und der Körper. Finde heraus, wer sie ist.«
»Sie ist noch ein Kind.«
»Nein, sieh sie doch an. Sie ist reif.«
Solange
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