Satori - Winslow, D: Satori - Satori
versetzt wurde, suchte sie sich einen anderen und danach wieder einen. Der Letzte flehte sie an, ihn zu heiraten und nach Texas zu begleiten, aber sie sagte ihm, er solle nicht albern sein.
Wenig später lernte sie einen Beamten des OSS kennen, der ihr erklärte, man könne eine Frau wie sie dort gut gebrauchen.
Damit beendete Solange ihre Erzählung.
Nikolai hielt sie fest, bis sie endlich eingeschlafen war.
11
A m nächsten Morgen bestellte Nikolai Haverford zu sich und verlangte zu erfahren, wen er nun ausschalten sollte. »Da ich mittlerweile selbst zur Zielscheibe geworden bin«, erklärte Nikolai bei Kaffee und Croissant, »habe ich wohl das Recht, es zu erfahren.«
Solange war zum Einkaufen aus dem Haus gegangen.
Haverford hörte zu, schien im Strudel der Milch, die er sich in den Kaffee rührte, nach einer Antwort zu suchen, sah auf und entgegnete: »Sie haben Recht. Es ist Zeit.«
»Also?«
»Es handelt sich um den sowjetischen Oberbevollmächtigten für Rotchina«, sagte Haverford. »Juri Woroschenin.«
Der Name traf Nikolai wie ein Schlag ins Gesicht, aber es gelang ihm – vielleicht nur dank der leichten Lähmung seiner Gesichtsmuskulatur – seine unbewegte Miene beizubehalten und jedes Zeichen des Wiedererkennens zu verbergen. »Warum?«
»Korea«, erwiderte Haverford.
Von den Sowjets angestachelt, hatte der wahnsinnige Kim Südkorea besetzt und die Vereinigten Staaten zum Eingreifen gezwungen. Als MacArthurs Gegenoffensive bis zum Yalu an der chinesischen Grenze vorgedrungen war, hatte Mao geglaubt, keine andere Wahl zu haben, und dreihunderttausend Soldaten nach Korea entsandt.
Die Vereinigten Staaten und China befanden sich im Krieg. Schlimmer noch, der Konflikt isolierte China vom Westen und zwang es, die sowjetische Hegemonie zu akzeptieren, womit ein undurchdringlicher kommunistischer Block von der Elbe bis zu den Ufern des Pazifiks entstanden war.
»Wir müssen einen Keil zwischen Peking und Moskau treiben«, schloss Haverford.
»Indem Sie Woroschenin ermorden lassen?«, fragte Nikolai. »Was soll das bringen?«
»Wir werden den Russen Beweise dafür liefern, dass die Chinesen dahinterstecken«, erklärte Haverford. »Die Chinesen wissen natürlich, dass sie es nicht gewesen sind und werden glauben, die Sowjets hätten einen ihrer eigenen Leute geopfert, um die Chinesen zu beschuldigen und zu weiteren Zugeständnissen zu zwingen – ständige Militärstützpunkte in der Mandschurei zum Beispiel.«
Das ist eine klassische List wie beim Go, dachte Nikolai, man opfert eine Reihe Steine, um dem Gegner eine falsche Strategie vorzugaukeln. Untypisch für die Amerikaner, die sich doch eher an kindischen Spielen wie Dame erfreuten. Hinter diesem Manöver steckte ein gewiefter Kopf. Mögli cherweise Haverford, aber er war nicht in der Position, einen Mord auf so hoher Ebene zu bewilligen.
Wer dann?, überlegte Nikolai.
Wer ist dieser Go-Spieler?
»Erzählen Sie mir von Woroschenin«, sagte er.
12
» V erabschieden Sie sich von der Vorstellung, Sie sollten einen unschuldigen Diplomaten ermorden«, erklärte Haverford.
Juri Andrewitsch Woroschenin war ein hochrangiger Beamter des KGB, was den Chinesen bekannt und ein Dorn im Auge war.
»Vor allem aber«, ergänzte Haverford warnend, »ist der gute Mann ein Überlebenskünstler.«
Er berichtete, was die CIA über Juri Woroschenin wusste.
1898 in St. Petersburg als Sohn eines Lehrers geboren, war er schon als Junge ein engagierter Revolutionär gewesen. Mit fünfzehn hatte er bereits in drei zaristischen Ge fängnissen gesessen und wurde mit siebzehn, knapp der Hin richtung als Verräter entronnen, nach Sibirien verbannt. Im Auftrag der Bolschewiken trat er 1914 in die Armee ein und führte 1916 einen Aufstand an, in dessen Folge unzählige Soldaten von der Front desertierten.
Haverford zog eine Aufnahme hervor, die den jungen Woroschenin in Militärmantel und Soldatenkappe zeigte. Er war groß und dünn, trug die für linke russische Intellektuelle typische Brille mit Drahtgestell und ein offenes fröhliches Grinsen im Gesicht, das für einen ernsthaften Revolutionär eher ungewöhnlich wirkte.
Im geschichtsträchtigen Jahr 1917 war Woroschenin wieder zu Hause und mittlerweile Agent der Petrograder Abteilung der Außerordentlichen Allrussischen Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabo tage, der WeTscheKa, oder auch »Tscheka« genannt. Gewalt war in der hungernden Stadt an der
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