Satori - Winslow, D: Satori - Satori
an die Unmöglichkeit des Scheiterns.
Hai, Kishikawa-sama.
Er wog sämtliche Methoden des hoda korosu gegeneinander ab, mit denen sich ein Gegner ohne viel Aufhebens aus geringer Entfernung ausschalten ließ, und teilte sie dann entsprechend der möglichen Ausgangssituation in Kategorien ein – wenn er zu Woroschenins Rechten saß, zu seiner Linken, hinter ihm, oder durch einen weiteren Gast oder einen Leibwächter von seiner Zielperson getrennt, was seine Aufgabe ein bisschen schwieriger machen würde.
Schwierig, ja, aber nicht unmöglich.
Nur Scheitern ist unmöglich.
Undenkbar.
Als er die Nordseite des Sees umrundet hatte, sprintete Nikolai los, einerseits um gegen die Langeweile anzugehen, vor allem aber, um herauszufinden, wie schnell der Windhund wirklich war. Denn so weit könnte es kommen – dass er mit dem Mann in Xuanwu um die Wette laufen musste, um ihn abzuhängen.
Der Windhund wurde seinem Spitznamen gerecht. Er nahm die Herausforderung an und blieb die erste Minute dicht an ihm dran, doch dann beschleunigte Nikolai noch ein bisschen mehr, vergrößerte den Abstand und merkte, dass der Windhund nicht mehr mitkam.
Es ist also möglich, dachte Nikolai und drosselte sein Tempo, um seine Verfolger nicht unnötig zu beunruhigen.
Es ist möglich, die Sache durchzuziehen und zu überleben.
Zurück im Hotel stieg er aus den verschwitzten Kleidern, nahm rasch ein Bad in bestenfalls lauwarmem Wasser, zog sich an und ging nach unten, wo er ein karges Frühstück aus warmer Sojamilch und eingelegtem Gemüse zu sich nahm. Er hatte in letzter Zeit zu viel und zu schwer gegessen und fühlte sich nun körperlich entsprechend stumpf und träge.
Chen traf wenige Minuten später ein. Er setzte sich, bestellte unfreundlich und herrisch seinen Tee und betrachtete Nikolai mit leidvoller Miene.
»Sie treiben sehr viel Sport«, sagte er vorwurfsvoll und verzichtete auf jeglichen Versuch, so zu tun, als würde sein Gast nicht rund um die Uhr überwacht.
»Ist das ein Problem?«
»Es ist selbstsüchtig.«
»Ich hätte eher das Gegenteil vermutet.«
Chens Tee wurde an den Tisch gebracht. »Es ist selbstsüchtig«, erklärte er, »insofern der Mensch dabei Ressourcen verbraucht, die anderweitig bessere Verwendung fänden.«
»Zum Beispiel, indem er in der Hotellobby sitzt und wartet?«, erwiderte Nikolai und fragte sich, warum es ihm so großen Spaß machte, Chen zu ärgern.
»Meine Männer sind sehr beschäftigt«, sagte Chen. »Sie haben viel zu tun.«
»Genosse Chen, ich bin voll und ganz Ihrer Meinung«, sagte Nikolai. »Ihre Männer verschwenden kostbare Zeit und Energie, indem sie mich beschatten …«
»Sie ›beschatten‹ Sie nicht«, schnaubte Chen, »sie ›beschützen‹ Sie.«
»Mir in der neuen Volksrepublik so viel Schutz angedeihen zu lassen, ist mit Sicherheit eine Verschwendung von Ressourcen«, bemerkte Nikolai ungerührt, »da das Verbrechen doch ein Anachronismus ist, der in die imperialistische Vergangenheit verbannt wurde.«
»Man schützt Sie«, beharrte Chen, der zunehmend aufgeregt wirkte, »vor den Agenten der Konterrevolution.«
»Ah«, sagte Nikolai. Er verneigte sich leicht. »Jetzt wird mir mein Denkfehler bewusst. Bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an, es war gedankenlos von mir. Ich werde meine morgendlichen Joggingrunden einstellen.«
»Nein«, entgegnete Chen jetzt deutlich milder gestimmt. »Ich wollte Ihnen nur die Situation vor Augen führen … mehr wollen Sie nicht frühstücken?«
»Ursprünglich nicht«, antwortete Nikolai, »aber jetzt, wo ich darüber nachdenke, vielleicht ein paar gedämpfte Teigtaschen? Mit roter Bohnenpaste?«
»Nur wenn Sie möchten.«
»Nur wenn Sie mitessen.«
»Nur um ein guter Gastgeber zu sein.«
Sie bestellten die Teigtaschen, aßen gemeinsam und sprachen wieder versöhnt über so unverfängliche, banale Themen wie das Wetter.
Dann standen sie auf und fuhren zur Bank.
Obwohl die Kommunisten die Wahrzeichen des Kapitalismus zutiefst verachteten, brauchten auch sie Banken, um ihre Geschäfte abzuwickeln. Und so hatten einige Finanzinstitute in Peking überlebt, auch wenn deren Angestellte verschämt und beinahe schuldbewusst wirkten.
»Welche Bank?«, fragte Chen, als sie in den Wagen stiegen.
»Banque de l’Indochine«, antwortete Nikolai.
»Natürlich.« Chens Entgegnung war von einer leichten Ironie gefärbt. Es gab solche Banken und solche – einige behielten die Transaktionen ihrer Anleger genau im Blick, andere
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