Satori - Winslow, D: Satori - Satori
dieser ihm folgte. Nikolai machte jetzt kürzere Schritte und ging langsamer, gestattete dem kleineren Mann, ihn einzuholen.
Wenn ich richtig geraten habe, dachte Nikolai, werde ich vielleicht ein reicher Mann.
Wenn ich falschliege, bin ich tot.
50
K ang lehnte sich zurück, genoss seinen Dragon Well Tee – der beste in China, nur Mao und er bekamen ihn geliefert – und betrachtete das Gemälde aus der Tang Dynastie an der Wand. Insgesamt herrschte eine erhabene Atmosphäre, weshalb Kang sich sehr über die Störung ärgerte.
Was wollte dieser mao-tzi Woroschenin hier noch nach Mitternacht?
Kang seufzte und gab Erlaubnis, ihn vorzulassen. Dann setzte er ein Lächeln auf und ging seinem unwillkommenen und ungeladenen Gast zur Begrüßung entgegen.
»Ein unverhofftes Vergnügen«, sagte Kang.
Woroschenin entging der Tonfall nicht. »Es ist dringend.«
»Offensichtlich«, erwiderte Kang. »Bitte treten Sie ein.«
Kang führte ihn in das große Wohnzimmer, das nicht nur voller Gemälde hing, sondern auch mit Bronzestatuen, seltener Keramik und alten Siegeln geschmückt war, allesamt den ehemals besitzenden Klassen entrungen. Seine Kunstsammlung war viele Tausende Yuan wert; von den Erotika ganz zu schweigen, die in rein finanzieller Hinsicht zwar weniger wertvoll, dafür aber umso kostbarer waren, was den Einfluss betraf, den sie ihm bei Mao verschafften, da dieser ebenfalls ein begeisterter Anhänger war.
Kreuzte Woroschenin, der arme einsame Mann, nur deshalb hier auf, um unter einem Vorwand herauszufinden, ob neue Pornographie eingetroffen war? Der Russe betrachtete das Tang-Gemälde, eine klassisch angelegte Ansicht eines Bergs im Süden des Landes.
»Neu?«, fragte er.
»Gefällt es Ihnen?«
»Ist ganz gut.«
Der mao-tzi könnte Perlen nicht von Dreck unterscheiden, dachte Kang. Deshalb bot er ihm auch keinen Tee an – was ohnehin keine Begeisterung ausgelöst hätte –, sondern lieber gleich Reiswein. Der Russe war ein Säufer, früher oder später würde er daran zugrunde gehen, und Kang hoffte, dass es eher früher als später geschah.
Nachdem das Getränk angeboten und das Angebot akzeptiert worden war, bemerkte der Russe barsch: »Nicht schlecht, die Kunstsammlung, die Sie hier haben.«
Kang gefiel das spöttische Grinsen nicht. »Ich tue, was ich kann, für den Erhalt unserer Kulturschätze«, sagte er, »zumindest derjenigen, die noch nicht von den Europäern gestohlen wurden.«
Sie wussten beide, dass sich die besten Sammlungen chinesischer Kunst in der Eremitage und im Louvre befanden. Eines Tages, dachte Kang, holen wir sie uns alle wieder. »Sie sprachen von einer dringenden Angelegenheit.«
»Was wäre«, fragte Woroschenin, »wenn Peng Verbindungen zu den Amerikanern unterhielte?«
»Was wäre, wenn man aus Scheiße Gold machen könnte?«, erwiderte Kang.
»Was wäre«, fuhr Woroschenin fort, »wenn Guibert eingestehen müsste, dass die Waffenlieferung an die Viet Minh fingiert war, um von etwas ganz anderem abzulenken?«
»Zum Beispiel?«
»Was wäre, wenn er gestehen würde«, fragte Woroschenin und achtete auf seine Wortwahl, »dass die Waffen nicht für die Viet Minh, sondern für die Konterrevolutionäre in Yunnan bestimmt sind?«
»Dann würde ich befürchten«, sagte Kang, »dass General Peng in ein imperialistisches Komplott zum Sturz der Volksrepublik verwickelt ist. Der Große Vorsitzende wäre schockiert und untröstlich.«
Das war ein erfreulicher Gedanke. Kang hatte seit Jahren nach einem Vorwand gesucht, Peng zu verhaften, einem Vorwand, den Armee und Öffentlichkeit akzeptieren würden, und dieser ordinäre Russe könnte ihn gerade geliefert haben.
»Aber warum sollte Guibert etwas Derartiges gestehen?«, fragte Kang, und seine Augen strahlten vor verschlagener Freude. Tatsächlich konnte er sich ein Dutzend Gründe vorstellen – »Trinkende Kröten«, »Affen halten ein Seil«, »Engel an der Zither« oder vielleicht eine neue Technik, die erst noch erfunden oder mit einem Namen versehen werden musste. »Und was haben die Amerikaner damit zu tun?«
»Guibert«, antwortete Woroschenin, »ist in Wirklichkeit ein amerikanischer Agent namens Nikolai Hel.«
Er erzählte Kang, was er über die Guiberts und über Nikolai Hel wusste, ließ aber selbstverständlich seine eigene Vergangenheit mit Alexandra Iwanowna aus.
»Wissen wir das genau?«, fragte Kang.
»Nein«, räumte Woroschenin ein. »Aber ich bin ziemlich sicher.«
»›Ziemlich sicher‹
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